Der Verrat
privaten Sorgen leiden.«
»Ja, Vater«, sagte Hirata entmutigt und verließ das Haus. Seine Hoffnung, Midori jemals zu heiraten, war für ihn so gering geworden wie die Aussicht, Wisteries geheimnisvollen Geliebten zu finden.
17.
S
ei ganz still, Kikuko-chan«, flüsterte Fürstin Yanagisawa. Unter den schrägen Dachsparren bewegten sich Mutter und Tochter vorsichtig über einen der Gänge auf dem Dachboden der zweistöckigen Villa des Kammerherrn. Der Dachboden, der sich über sämtliche miteinander verbundene Flügel des verschachtelten Gebäudes erstreckte, glich einem schummrig beleuchteten Labyrinth. Spinnweben hingen von den Balken, Mäusekot und tote Insekten lagen auf dem kahlen, staubigen Boden. Nur durch die winzigen Gitterfenster, die sich weit oben in den spitzen Giebeln befanden, fiel schwaches Licht in die Gänge.
Kikuko bewegte sich auf den Zehenspitzen, einen Finger auf die Lippen gedrückt. In ihren Augen lag ein Ausdruck übermütiger Freude: Sie hielt das alles für ein Spiel. Schließlich gelangten sie zu einem Futon, der auf einer Tatami-Matte lag, und legten sich hin. Fürstin Yanagisawa schlug eine Decke über sie beide, um sich und das Mädchen vor der klammen Kälte an diesem Ort zu schützen, den nur sie beide kannten und des Öfteren aufsuchten. Dann drehte die Fürstin sich so, dass sie bäuchlings lag, die Ellbogen aufgestützt, das Kinn auf die Hände gebettet, und spähte durch ein handflächengroßes Loch im Boden.
Dieses Loch, das durch kunstvoll bemalte Deckenschnitzereien verborgen wurde, gewährte einen Blick in die Schreibstube des Kammerherrn in der Etage darunter. Vor Jahren hatte die Fürstin den geheimen Weg von ihrem Flügel der Villa zu dem ihres Gemahls entdeckt. Dann hatte sie das Loch in die Decke geschnitten – in den Nächten, als alle schliefen –, sodass sie nun dieses Fenster besaß, das ihr einen Blick in das Leben ihres Mannes erlaubte.
Yanagisawa erzählte ihr nie von seinem Beruf, er sprach ohnehin selten mit ihr, sodass sie heimlich lauschen musste, wenn sie seine Stimme hören oder erfahren wollte, womit er gerade beschäftigt war. Und da er sehr wenig Zeit mit ihr verbrachte, sodass sie ihn kaum zu Gesicht bekam, beobachtete sie ihn heimlich. Wahrscheinlich wusste er nicht, was sie tat – vielleicht aber doch, und es war ihm egal.
Nun sah sie ihn an seinem Pult sitzen und schreiben, wobei er seine Pfeife rauchte. Sein eingeöltes Haar und die Seidenumhänge schimmerten. Er war allein, wenngleich Leibwächter in den angrenzenden Räumen hinter verschiebbaren Wandbrettern Wache hielten. Als Fürstin Yanagisawa nun ihren Gemahl betrachtete, überkam sie das vertraute Gefühl der Bewunderung und Liebe.
Er war noch immer so schön wie an dem Tag, als sie einander das erste Mal begegnet waren. Damals hatte die Fürstin sich voller Glück gefragt, womit sie einen Ehemann wie ihn verdient hatte. Dabei hätte sie damals schon wissen müssen, dass ihre Ehe sich so entwickeln würde, wie es gekommen war.
Heute kam es ihr vor, als hätte sie schon immer um ihre Hässlichkeit gewusst. Als zweites von drei Kindern geboren, war sie in der Provinz Kai aufgewachsen, in einer der Villen, die ihren wohlhabenden Eltern gehörte, die beide entfernte Verwandte der Tokugawa waren. Doch in dem lebendigen, fröhlichen Haushalt war sie stets eine schüchterne, stille Außenseiterin geblieben. Verspottet von ihren hübschen Geschwistern, beschimpft von ihrer Mutter und der Dienerschaft und vom Vater kaum beachtet, hatte sie die meiste Zeit alleine verbracht. Ihre einzige Gefährtin war eine Puppe mit gesplittertem Porzellankopf gewesen, die sie ihrer Hässlichkeit und Unvollkommenheit wegen umso inniger geliebt hatte.
Als sie ins heiratsfähige Alter kam, vereinbarten ihre Eltern ungezählte miai , doch kein einziges Mal wagte sie es, einem möglichen Bräutigam auch nur in die Augen zu blicken – aus Angst, Abscheu auf dessen Gesicht zu sehen. Sämtliche Treffen waren erfolglos, und sie ergab sich in das Schicksal, als alte Jungfer zu enden … bis es zum miai mit dem jungen Kammerherrn des Shōgun kam.
Der miai hatte vor zehn Jahren stattgefunden, im Frühling. Als die Gesellschaft über das Gelände des Kannei-Tempels geschlendert war, hatte die spätere Fürstin stumm den Gesprächen gelauscht, züchtig den Kopf gesenkt und den Blick zu Boden gerichtet. Die melodische Stimme von Kammerherr Yanagisawa hatte eine Saite in ihrem Innern zum Klingen gebracht. Ihre
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