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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vince Flynn
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der Kellnerinnen oder der Barkeeper ihn sah und ihm zurief, dass er herunterkommen solle. Den Rücken gegen die Wand gedrückt, stand er regungslos da und lauschte erst einmal. Von unten hörte er leise Musik und laute Stimmen. Oben herrschte absolute Stille. Rapp zog die Waffe aus der Jackentasche. Im Tritium-Visier sah er drei kleine grüne Punkte – zwei hinten und einen vorne. Rapp hob die Pistole neben das Gesicht, den Schalldämpfer zur Decke gerichtet. Der Geruch von Metall und Waffenöl hatte etwas Beruhigendes an sich.
    Erneut galt es eine Entscheidung zu treffen. Rapps Pistole war mit 9-mm-Hydra-Shok-Hohlspitzgeschossen geladen. Diese nahezu lautlosen Unterschallgeschosse hatten einen beträchtlichen Nachteil: ihre Geschwindigkeit war etwa achtzig Prozent geringer als die von Überschallgeschossen. Man brauchte keine kugelsichere Weste, um sich dagegen zu schützen – es reichte bei etwa zehn Metern Entfernung schon eine dicke Lederjacke, um eine solche Kugel aufzuhalten. Diese Art Munition war etwa bei einem Schusswechsel nicht ratsam. Das Problem mit den Überschallgeschossen war hingegen, dass sie nicht lautlos waren. Das Durchbrechen der Schallmauer war mit einem relativ lauten Knall verbunden. Rapp blickte auf die Treppe hinunter und rief sich in Erinnerung, wie laut es in der Bar war. In Gedanken wog er Geschwindigkeit und Durchschlagskraft gegen den Vorteil ab, unbemerkt zu bleiben. Die Durchschlagskraft setzte sich durch.
    Rapp wechselte die Pistole von der linken Hand in die rechte und drückte die Magazinentriegelung. Das schwarze Magazin fiel in seine linke Hand, und er steckte es in die rechte vordere Tasche. Rapp drehte die Waffe auf die Seite, sodass er das Ende des Griffs an seiner Brust hatte. Er schloss die linke Hand über dem Auswurf und legte den rechten Daumen unter den Schlitten-Fanghebel. Mit den Fingerspitzen und der Handfläche fasste er den Schlitten und zog ihn zurück, bis er spürte, wie das kalte Metallprojektil in seine Hand fiel. Gleichzeitig drückte er mit dem rechten Daumen auf den Fanghebel, um den Schlitten offen zu halten. Er steckte die Patrone in dieselbe Tasche wie das Magazin und fischte ein anderes Magazin aus der linken Tasche. Rapp zog das erste der Überschallgeschosse aus dem Magazin und nahm es zwischen die Vorderzähne. Dann schob er das Magazin leise in den Griff, vergewisserte sich, dass es eingerastet war, und nahm die Waffe wieder in die linke Hand. Vorsichtig nahm er die Patrone aus dem Mund und legte sie in die Kammer, während er die Pistole nach unten richtete. Es war ein bisschen so, als würde man einen Torpedo in das Abschussrohr einschieben. Rapp fasste den Schlitten mit der rechten Hand und zog ihn gerade weit genug zurück, um den Fanghebel zu lösen, ehe er den Schlitten langsam wieder vorgleiten ließ, bis der Verschluss geschlossen war.
    Er war hier nicht in Hollywood. Richtige Schützen trugen ihre Waffen feuerbereit mit sich – das hieß, mit einer Kugel in der Kammer. Man verzichtete selbstverständlich auf Macho-Gebärden wie das dramatische Ziehen des Schlittens. Das kostete nur wertvolle Zeit und machte jede Menge Lärm. Rapps einzige Alternative zu dieser komplizierten Prozedur wäre gewesen, ein frisches Magazin einzulegen und den Schlitten langsam und kontrolliert nach vorne gleiten zu lassen. Das Problem dabei war ein gewisses Risiko, dass die Patrone nicht richtig in die Kammer glitt, was so ungefähr das Letzte war, was man sich in einer solchen Situation wünschte. Vor allem wenn man vorhatte, den ersten Schuss abzugeben.
    Rapp umfasste die Waffe mit beiden Händen und streckte die Arme aus. Langsam ging er weiter die Treppe hinauf, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, das Gewicht perfekt verteilt, seine Schritte so leicht wie die eines Federgewichtsboxers. Als er den Absatz zwischen dem ersten und zweiten Stock erreichte, hörte er Stimmen. Ein schwacher Lichtstreifen erhellte die Wand über ihm. Rapp nahm an, dass das Licht aus Gazichs Büro kam. Er starrte einige Sekunden auf die Wand, um zu sehen, ob irgendwelche Schatten zu erkennen waren – doch da war nichts. Das bedeutete, dass niemand in der Tür zum Büro stand. Rapp lauschte angestrengt. Die Stimmen waren nur schwach zu hören. Er glaubte, dass sie Griechisch sprachen.
    Plötzlich wurde die Stille im zweiten Stock von einem lauten Schrei durchbrochen. Instinktiv trat Rapp einen Schritt zurück. Sein ganzer Körper spannte sich an, jederzeit bereit, zu reagieren.

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