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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vince Flynn
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Auf den Schrei folgte eine scharfe, aber kontrollierte Stimme. Die Sprache war eindeutig Griechisch. Im nächsten Augenblick hörte man schweres Atmen und einige Worte auf Russisch. Rapp wusste sofort, was da vor sich ging. Er duckte sich und trat zwei Schritte vor, um auf den Flur über ihm sehen zu können. Das Erste, was ihm ins Auge fiel, war, dass die Tür zum Büro geschlossen war. Das Zweite, was er sah, war ein Toter auf dem Fußboden.

12
    Rapp stieg ein paar Stufen weiter hinauf, bis er auf Augenhöhe mit dem Toten war, der oben vor der Treppe lag. In dem schwachen Licht konnte er es nicht genau erkennen, aber er glaubte, dass es sich um einen der Russen handelte. So wie der Mann dalag, hatte er wahrscheinlich eine Kugel in die rechte Seite des Kopfes bekommen und sich um neunzig Grad gedreht, ehe er zu Boden ging. Er musste schon tot gewesen sein, als der massige Körper auf dem schmutzigen Linoleumboden landete. Seine Augen waren weit aufgerissen, die linke Hand unter dem Körper eingeklemmt, ein Bein angewinkelt, das andere ausgestreckt. Rapp bezweifelte, dass der Kerl auch nur den Schmerz gespürt hatte, als das Stück Blei in seinen Kopf einschlug. Nicht die schlimmste Art, um abzutreten, wenn man es recht bedachte.
    Rapp blieb stehen, um sich die Leiche genauer anzusehen. Es war eindeutig der zweite Russe – derjenige, der mitten auf der Straße stehen geblieben war, um seinem Kumpel im Auto etwas zuzurufen. Gazich hatte sicherlich in dem Gang zu seiner Rechten gelauert. Wahrscheinlich hatte er den ersten Kerl vorbeilaufen lassen, und als der Russe die Tür zu seinem Büro öffnete, schaltete er sie einen nach dem anderen aus. Wahrscheinlich mit Unterschallprojektilen aus etwa fünf Metern Entfernung. Der erste Schuss auf den Kopf des zweiten Mannes, der zweite Schuss auf die Hüfte oder, falls er ein besonders guter Schütze war, auf das Knie des ersten Mannes. Nach dem ersten Schuss war Gazich bestimmt näher herangegangen, um den schwierigsten Schuss anzubringen. Er wollte mindestens einen dieser Kerle lebend, was bedeutete, dass er dem ersten Russen die Waffe aus der Hand schießen musste, falls er sie nicht hatte fallen lassen, nachdem er getroffen worden war.
    Rapp lag nun fast auf der Treppe – die rechte Hand auf der Stufe vor ihm, die Pistole in der linken Hand. Es kam jetzt auf Zentimeter an. Er war in Deckung und konnte drei Viertel der Milchglastür sehen. Schatten wanderten hin und her, und er hörte mindestens zwei verschiedene Stimmen, die eine viel lauter als die andere. Rapp nahm an, dass das Gazich war. Er war bestimmt derjenige, der die Fragen stellte. Es war gewiss nicht ratsam, hier auf der Treppe zu bleiben. Hier lief er immer Gefahr, von jemandem gesehen zu werden, der aus dem Café heraufkam. Damit blieben ihm, taktisch gesehen, nur noch zwei Möglichkeiten: er konnte das Büro stürmen oder sich in die relativ sichere Deckung des Ganges begeben.
    Rapp stellte sich vor, wie es in dem Büro aussehen mochte. Solche Räume waren meist recht ähnlich eingerichtet: ein Schreibtisch, ein paar Sessel, vielleicht eine Couch und ein paar Regale oder ein Schrank. Ein Typ wie Gazich würde niemals mit dem Rücken zur Tür sitzen, das stand fest. Es war außerdem wahrscheinlich, dass sich sein Hauptarbeitsplatz an einer Stelle befand, wo man ihn nicht durch die Fenster sehen konnte. Scharfschützen achteten auf solche Dinge. Sie kalkulierten immer mögliche Schusswinkel mit ein – nicht nur ihre eigenen, sondern auch die ihres gefürchtetsten Feindes: eines anderen Scharfschützen. Bei den beiden Fenstern zur Straße gab es eigentlich nur noch einen möglichen Platz für den Schreibtisch. Natürlich durfte man auch den Alten nicht vergessen. Es war von entscheidender Bedeutung, wo er stand, wenn Rapp die Tür aufstieß. Wenn er sich genau zwischen Rapp und Gazich befand, würde man ihn vielleicht niederschießen müssen. Der Gedanke, einen möglicherweise völlig Unschuldigen töten zu müssen, bewog Rapp stets, nach einer anderen Taktik zu suchen.
    Hier im Niemandsland zu warten kam nicht infrage – deshalb galt es eine Entscheidung zu treffen. Rapp trat tief geduckt auf die oberste Stufe und stieg über den toten Russen hinweg. Dann schlich er einige Schritte an der Wand entlang in den Gang hinein und ging an der Außenwand von Gazichs Büro in Position. Der Gang war wie eine dunkle Höhle, und Rapp konnte ganz am Ende nur mit Mühe die Umrisse einer Tür in der gelben Wand erkennen.

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