Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vince Flynn
Vom Netzwerk:
wahrscheinlich alle beide.
    Seine linke Hand wanderte an seine Armbanduhr, und er drückte ohne hinzusehen auf den Knopf für die Stoppuhrfunktion. Seine Atmung nahm ganz von allein einen gleichmäßigen, fast hypnotischen Rhythmus an. Er war sich zu neunundneunzig Prozent sicher, dass die leichte Erschütterung dadurch ausgelöst worden war, dass die beiden Russen einer nach dem anderen zu Boden fielen, nachdem Gazich sie erschossen hatte. Konnte es sein, dass Gazich bereits auf das Dach kletterte? Rapp bezweifelte das. Die Art und Weise, wie er an dem Wagen gestanden hatte, nachdem er den ersten der drei beseitigt hatte, ließ vermuten, dass er auch jetzt Ruhe bewahrte. Schließlich musste er auch an die Polizei denken. Wenn die beiden Leichen hier liegen blieben, würde früher oder später die Polizei aufkreuzen. Und die würde eine Menge Fragen stellen. Rapp ging davon aus, dass Gazich hierbleiben und erst einmal alle Spuren beseitigen würde.
    Irgendjemand dort oben war mit Sicherheit noch am Leben. Eigentlich hätte es für Rapps Zwecke jeder der drei getan, aber Rapp wollte, dass es Gazich war. Er war derjenige, der an jenem Tag an der Straße in Georgetown gestanden hatte. Jemand hatte ihn angeheuert, um den Job zu erledigen, und jetzt wollten sie ihn tot sehen. Rapp musste wissen, wer dahintersteckte, und er würde es nicht erfahren, wenn er auf Nummer sicher ging. Rapp wusste, dass bei Soldaten nach der Schlacht stets eine gewisse Erschöpfung auftrat, nachdem man vorher durch einen Adrenalinüberschuss angetrieben worden war. Elitesoldaten wurden systematisch darauf trainiert, diesen Effekt zu bekämpfen, indem sie sofort nach der Schlacht die Waffen nachluden und reinigten und sich wieder kampfbereit machten, bevor sie sich auch nur die Zeit nahmen, sich im Straßengraben zu erleichtern. Gazich war kein Elitesoldat – er war ein Scharfschütze und ein Killer. Er würde sich jetzt auf andere Dinge konzentrieren.
    Ja, Rapp musste hinauf, das stand für ihn fest. Er hatte in letzter Zeit schon zu lange abgewartet und herumgesessen. Die Frage war nur, wie lange er noch abwarten sollte. Mindestens eine Minute, dachte er sich. So lange würde es schon dauern, bis nach dem Adrenalinüberschuss die Aufmerksamkeit des Mannes nachlassen würde.
    Der Caféinhaber verließ den Tisch, an dem er stand. Rapp beobachtete im Spiegel, wie er in den vorderen Bereich des Lokals ging. Eine der Kellnerinnen fragte ihn etwas, doch er ignorierte sie und ging direkt zur Treppe. Rapp sah auf seine Uhr und wandte sich von der Bar ab. Er hob die rechte Hand an den Mund und tat so, als würde er niesen.
    In Wirklichkeit sprach er rasch in sein verborgenes Funkgerät: »Ich gehe in sein Büro hinauf.«
    Die Stufen waren mit abgenutzten Linoleumfliesen bedeckt, die schräg ausgelegt waren, sodass die Quadrate eine Diamantform aufwiesen. An den Seiten waren die schwarzen und weißen Fliesen noch in recht gutem Zustand, doch in der Mitte waren sie so abgenutzt, dass es braun durchschimmerte. Rapp lächelte zwei Frauen zu, die am Fuße der Treppe standen. Er legte einer von ihnen die Hand auf die Schulter und schlüpfte hinter ihr vorbei. Rapp hielt sich ganz rechts. Hier machte er weniger Lärm und konnte kaum gesehen werden, bis er den Absatz erreichte. Rasch stieg er zum ersten Treppenabsatz hinauf.
    Er war wieder einmal auf bloße Vermutungen angewiesen. In solchen Situationen konnte es von entscheidender Bedeutung sein, wie gut die Annahmen waren, zu denen man auf der Basis von vergangenen Erfahrungen kam. Rapp stellte sich vor, was da oben vor sich ging, während er vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzte. Der alte Mann war knapp über einen Meter siebzig groß und wog vielleicht neunzig Kilo. Außerdem ging er leicht nach rechts geneigt. Seine Hüfte und die Knie waren wahrscheinlich lädiert, nachdem er sein Leben lang täglich auf den Beinen war und mindestens fünfzehn Kilo Übergewicht mit sich herumschleppte. Er würde ganz gut bis zum ersten Treppenabsatz kommen, aber spätestens beim zweiten würde ihm sein Herz und seine Lunge zu schaffen machen. Wenn man dann noch den Stress der Situation bedachte, so bestand die Möglichkeit, dass er in die Nähe eines Herzstillstands kommen würde, wenn er in den zweiten Stock gelangte.
    Der erste Abschnitt der Treppe war kein Problem. Rapp drückte sich an der Außenwand entlang und stieg weiter in den ersten Stock hinauf. Das Letzte, was er jetzt brauchen konnte, war, dass eine

Weitere Kostenlose Bücher