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Der Verrat

Der Verrat

Titel: Der Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vince Flynn
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Wenn das zweite Stockwerk so angelegt war wie das erste, dann musste das das Badezimmer sein, und vielleicht der Zugang zum Dach. Es gab noch eine andere Tür in der Wand ihm gegenüber – das zweite Büro. Rapp hatte keine Ahnung, wem es gehörte. Für ihn war nur wichtig, dass im Moment niemand drinnen war.
    Er dachte an Coleman und wollte ihn schon anrufen, um zu fragen, wie lange er noch brauchte, als die Tür zu Gazichs Büro aufging und das Licht von drinnen den Gang erhellte. Lautlos wich er drei Schritte zurück, um sich weiter in die Dunkelheit zurückzuziehen, die Waffe feuerbereit in beiden Händen. Er ging in Schussposition, die drei neongrünen Punkte waren auf einer Linie, und sein linker Zeigefinger lag sanft am Abzug.
    Der alte Mann tauchte auf. Er trat auf den Flur hinaus und schloss die Tür hinter sich. Ein paar Sekunden stand er da, die linke Hand am Türknopf, und ließ den Kopf auf die Brust sinken. Er dachte offensichtlich nach, was er tun sollte. Schließlich schüttelte er den Kopf, beugte sich hinunter und packte den toten Russen an den Füßen. Er begann zu ziehen, doch die Leiche rührte sich nicht vom Fleck. Beim zweiten Versuch bewegte sich der Tote wenige Zentimeter über den Boden. Schließlich legte der Alte seine ganze Kraft hinein, und die Leiche begann über den alten Linoleumboden zu schleifen.
    Rapp trat, so wie der Alte, Schritt für Schritt in den Gang hinein, ohne sich darum zu sorgen, dass er entdeckt werden könnte. Der Alte war viel zu sehr mit seinen Gedanken und seiner mühseligen Aufgabe beschäftigt, und wahrscheinlich war er ohnehin halb taub, nachdem er ein Leben lang an der Espressomaschine gearbeitet hatte. Sie gingen fast bis ans Ende des Ganges, als der Alte schließlich aufgab und den Toten losließ. Die leblosen Füße landeten mit einem dumpfen Geräusch auf dem Boden, und einer der Schuhe löste sich teilweise vom Fuß. Der Alte beugte sich fluchend vor und stützte beide Hände auf die Knie. Er machte keine Anstalten, den Schuh wieder auf den Fuß zu stecken – er war einfach zu erschöpft. Schwer atmend stand er da und fluchte leise vor sich hin.
    Rapp steckte die Pistole lautlos in die Jackentasche und zog ein Klappmesser aus seinem Gürtel. Mit einer Hand öffnete er das Messer und machte einen Schritt nach vorne. Er wartete einen Augenblick, bis der Alte seine nächste vorhersehbare Bewegung machte. Als er sich schließlich aufrichtete, sprang Rapp auf ihn zu, drückte ihm die rechte Hand auf den Mund und zog ihn hoch, ehe er ihm mit der linken Hand das Messer an die Kehle setzte.
    »Keinen Mucks«, flüsterte Rapp dem Mann ins Ohr, »sonst schneide ich dir die Kehle durch.«

13
    Rapp hatte keine Ahnung, wie viel der Alte mit der ganzen Sache zu tun hatte. Am Tag zuvor hatte er genug Zeit gehabt, um sich darüber Gedanken zu machen. Der Mann musste Gazich vor den Russen gewarnt haben, und jetzt half er ihm wieder, aber das bewies noch nicht, dass er in den Anschlag verwickelt war, der vergangenen Oktober in Amerika verübt worden war. Es war in seinem eigenen Interesse, die Leichen loszuwerden, auch wenn er überhaupt nichts mit Gazich zu tun hatte. Er hatte ein Lokal zu führen, und wenn ein paar tote Russen in seinem Haus gefunden wurden, so war das in einer Touristenstadt wie Limassol alles andere als günstig.
    Natürlich konnte es sein, dass er Gazichs Geschäftspartner war – ein Komplize, der über alles Bescheid wusste. Vielleicht war er sogar derjenige, der die Verträge aushandelte. Fast alles war möglich, und solange Rapp keinerlei Beweise für das eine oder das andere hatte, würde er den Mann leben lassen. Mitch Rapp war selbst nicht unbedingt das, was man sich unter einem »normalen Menschen« vorstellte – aber obwohl er schon die extremsten Situationen miterlebt hatte, obwohl er immer wieder Menschen getötet und manchmal auch gefoltert hatte, war es ihm doch gelungen, geistig relativ gesund zu bleiben. Für ihn war es von entscheidender Bedeutung, dass er sich noch von den Männern und gelegentlich auch Frauen unterschied, die er jagte.
    Viele von ihnen töteten für eine Idee. Sehr oft war diese Idee eine Pervertierung des Islam. In diesem Fall handelte es sich stets um Männer. Frauen war es nicht gestattet, sich an diesem Kreuzzug der Intoleranz zu beteiligen. Lediglich die Palästinenser und die Tschetschenen hatten in seltenen Fällen auch weibliche Selbstmordattentäter eingesetzt. Andere wieder töteten für Geld, so wie

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