Der Verrat
…«
»Halt!« Brooks hob eine Hand, um ihn zu unterbrechen. »Hier geht es nicht um mich. Das ist mir irgendwann auch klar geworden. Als ich dir den Wein ins Gesicht schüttete, da habe ich vor allem an mich gedacht. Ich war frustriert darüber, wie du mich behandelt hast. Wie du mich herumgeschubst hast wie ein kleines Kind. So als wäre ich eine blutige Anfängerin.«
»Ich habe …«
»Lass mich ausreden. Du bist Mitch Rapp … eine Legende … blablabla. Ich war in den ersten Wochen wirklich beeindruckt. Ziemlich eingeschüchtert – aber irgendwann auf Zypern hat es bei mir klick gemacht. Mir ist klar geworden, dass es nicht an mir lag. Es lag an dir.«
»Du musst dich schon etwas deutlicher ausdrücken.«
»Ich habe nichts falsch gemacht – außer vielleicht, dass ich dir nicht schon früher die Stirn geboten habe.«
»Hör mal … du hast noch viel zu lernen.«
»Da widerspreche ich dir nicht – aber du brauchst Hilfe.«
»Was?« Rapp wusste nicht, ob er lachen oder sich ärgern sollte.
»Mein Dad war ein bisschen so wie du … na ja, niemand ist genau wie du, aber er war dir insofern ähnlich, als er auch kein Teamplayer war. Er musste immer alles selber machen. Nie wäre ihm in den Sinn gekommen, dass ein anderer eine Sache genauso gut machen könnte wie er.«
»Klingt, als wären wir uns gar nicht so unähnlich gewesen.«
»Ja.« Brooks blickte einige Momente schweigend vor sich hin. »Er hätte dir gefallen.«
»Er lebt nicht mehr?«
»Nein. Wir haben ihn vor fünf Jahren verloren. Herzinfarkt.«
»Tut mir leid.«
»Danke. Er war ein guter Mensch. Für meine Mutter und uns Kinder war er immer da, wenn wir ihn brauchten. Nur hätte er es ums Verrecken nicht fertiggebracht, sich einmal von jemandem helfen zu lassen. Was ist mit deinem Dad?«
»Er starb, als ich klein war.«
»War er auch im Geschäft?«
»Nein.« Rapp schüttelte den Kopf. »Er war Anwalt. Aber ein guter Mann.«
»Siehst du, es ist gar nicht so schlecht.«
»Was?«
»Reden.«
»Das Reden wird überschätzt.«
Brooks lächelte, und ihre Augen leuchteten. »Du hast Probleme, und die wirst du nicht lösen, indem du sie unter Verschluss hältst.«
»Jeder hat seine Probleme.«
»Du hast echte Probleme. Deine Frau ist vor über einem Jahr gestorben, und ich wette, du hast noch kein einziges Mal mit einem Psychologen darüber gesprochen.«
Rapps Gesicht verhärtete sich. »Gib acht, was du sagst. Du hast meine Frau nie gesehen, und du kennst mich nicht gut genug, um darüber zu reden.«
»Du kannst mich mal.«
Rapp sah sie an, als könne er nicht glauben, was er gerade gehört hatte.
»Wie bitte?«
»Das habe ich von dir gelernt. Kein leeres Geschwätz, sag die Wahrheit und mach deinen Job. So bist du. Du verachtest Leute, die inkompetent sind und die deine Zeit verschwenden, und vor allem solche, die sich von dir einschüchtern lassen.«
»Und?«
»Es ist so, wie ich es sage, das weißt du genau. Du willst es bloß nicht zugeben. Der große, harte Mitch Rapp kann doch nicht zu einem Psychologen gehen und über seine Probleme reden, denn das wäre ja schon ein Zeichen der Schwäche, und was du an anderen am meisten verachtest, ist Schwäche. Also unterdrückst du einfach alles. Du verdrängst den Schmerz und machst es damit noch viel schlimmer.«
Rapp ließ den Kopf in seine rechte Hand sinken. »Oh … Scheiße«, murmelte er, »ich habe Kopfweh.« Er hatte praktisch dasselbe Gespräch am Weihnachtsabend mit Irene Kennedy geführt. »Warum müsst ihr Frauen mich immer analysieren?«
»Weil wir alle insgeheim deine Mutter oder deine Geliebte sein wollen.«
Rapp hob verblüfft den Kopf. »Hä?«
»Ein Scherz … sozusagen. Aber schweifen wir nicht vom Thema ab. Du musst über das, was mit deiner Frau passiert ist, mit jemandem reden.«
»Du solltest aufpassen, was du sagst.«
Brooks hob trotzig den Kopf. »Was willst du denn tun? Mich schlagen? Mich aus dem Flugzeug werfen? Das glaube ich nicht. Du brauchst Hilfe. Du hast nur Angst, es zuzugeben.«
»Ich brauche keine Hilfe.« Rapp stand auf.
»Rede dir das nur weiter ein. Vielleicht glaubst du es ja irgendwann selbst.«
18
Rapp öffnete die Tür am hinteren Ende der Kabine und trat in den vorderen Frachtraum. Er schloss die Tür hinter sich und lehnte sich dagegen. Der Metallboden war voller schmieriger Streifen, nachdem immer wieder Frachtstücke herein- und hinausgeschoben worden waren. Drei Lampen an der Decke erhellten den Raum. Der Frachtraum war
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