Der Verrat
Worte zeigten wenig Wirkung bei ihm, weil er im Moment nur mit den Schmerzen beschäftigt war, die nun immer stärker wurden. »Und die anderen fünf Prozent?«, fragte er.
»Verglichen mit Option A ist das keine allzu schwere Entscheidung, aber nach allem, was ich bisher von Ihnen gehört habe, scheinen Sie nicht gerade der Vernünftigste zu sein.«
»Was wäre das für eine Möglichkeit?«
»Sie erzählen mir alles. Wer Sie angeheuert hat, wie es geplant wurde – einfach alles.« Rapp sah, dass Gazich seine Möglichkeiten abwog. »Wir wissen beide«, fügte Rapp hinzu, »am Ende werden Sie es mir so oder so sagen.«
»Warum foltern Sie mich dann nicht? Sie sehen mir so aus, als würde es Ihnen Spaß machen.«
Rapp schüttelte den Kopf. »Mir wäre es lieber auf die zivilisierte Art.«
»Und wenn Sie mit mir fertig sind?«
»Dann stecken wir Sie für den Rest Ihres Lebens ins Gefängnis. Vielleicht kommen Sie in dreißig Jahren für eine bedingte Entlassung infrage, ich weiß es nicht.« Rapp hatte spontan beschlossen, dass er dem Mann ein wenig Hoffnung geben musste. »Diese Entscheidung müssen Leute in den höheren Etagen treffen.«
»Klingt nicht gerade nach einem guten Geschäft.«
»Verglichen mit monatelanger Folter und der Exekution finde ich es gar kein so schlechtes Geschäft.«
»Sie sind ja nicht der, den’s trifft.«
»Ich bin auch nicht der, der eine Autobombe gezündet und die Frau des neuen Präsidenten ermordet hat.« Rapp sah, wie Gazich blinzelte und den Blick abwandte. Die Bemerkung hatte gesessen.
»Wie wär’s mit einer Morphiumspritze?«, fragte Gazich mit angespannter Stimme. »Ich würde gern über Ihr Angebot nachdenken.«
Rapp rief sich in Erinnerung, dass die Zeit für ihn arbeitete. »Gut. Ich zeige Ihnen, wie nett wir Amerikaner sind. Ich gebe Ihnen die Spritze, und dann …«
Die Kabinentür ging auf, und Brooks kam herein, ein Satellitentelefon in der ausgestreckten Hand. »Da will dich jemand sprechen.«
Am Ton ihrer Stimme erkannte Rapp, dass es etwas Ernstes war.
»Gut.« Rapp wandte sich noch einmal Gazich zu. »Ich bin in einer Minute wieder da«, sagte er, stand auf und schloss die Containertüren.
»Was ist mit dem Morphium?«, rief Gazich.
Rapp schloss die Türen, sodass Gazichs erstickte Schreie nur noch schwach zu hören waren. »Wer ist dran?«, fragte er, während er durch den Frachtraum schritt.
»Direktor Kennedy.«
Rapp nahm das Telefon entgegen und hob es ans Ohr. »Was gibt’s?« Er hörte zehn Sekunden zu und sagte schließlich: »Habt ihr jetzt alle den Verstand verloren?«
19
Oval Office, Washington D. C.
Die Dinge waren im Fluss, so viel war Kennedy klar, und daran konnte nichts und niemand mehr etwas ändern. Justizminister Stokes und FBI-Direktor Roach standen beim Schreibtisch des Präsidenten und benutzten jeder ein abhörsicheres Telefon, um ihren Leuten entsprechende Anweisungen zu geben. Der Präsident und sein designierter Nachfolger saßen immer noch am Kamin, in ein ernsthaftes Gespräch vertieft. Die Nachricht von der Festnahme des Mörders seiner Frau hatte sie einander nähergebracht. Kennedy hatte Alexander nach der Wahl nur zweimal gesehen. Beide Male hatte der neue Präsident einen verschlossenen, bedrückten Eindruck gemacht, was für den charismatischen fünfundvierzigjährigen Mann aus Georgia ziemlich untypisch war. Die Nachricht hatte ein Feuer in ihm entfacht, das seit dem Tod seiner Frau erloschen war.
Kennedy beobachtete den Präsidenten und seinen Nachfolger bei ihrem Gespräch unter vier Augen. Unwillkürlich musste sie an die Fotos denken, die Baker ihr vor nicht einmal vierundzwanzig Stunden gezeigt hatte. So wie sich Alexander in den vergangenen Monaten verhalten hatte, bezweifelte Kennedy, dass er von der Untreue seiner Frau gewusst hatte. Aber sie hatte schon die erstaunlichsten Dinge erlebt. In Washington kursierten jede Menge Geschichten von den Reichen und Mächtigen und ihren seltsamen Ehegepflogenheiten. Ihr Instinkt sagte ihr, dass Alexander aufrichtig trauerte, aber bei Politikern hatte sie sich schon mehr als einmal getäuscht. Thomas Stansfield, ihr Mentor, hatte sie des Öfteren darauf hingewiesen, dass gute Politiker besser als jeder Hollywoodschauspieler waren. Sie traten drei- oder viermal täglich vor Publikum auf der politischen Bühne auf.
Doch Alexanders Schmerz schien tatsächlich echt zu sein. Kennedy fragte sich, wieweit ihre Einschätzung von Wunschdenken geleitet war. Es schauderte
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