Der Verrat
sie davor, etwas anderes zu vermuten. Sie wollte zu gern glauben, dass er ein anständiger Mann war. Ein Mann, den sie unterstützen konnte. Denn genau das war nun wieder ein Thema. Kennedy erkannte jetzt, was Präsident Hayes vorhatte – was er für sie und die CIA tun wollte. Nachdem der designierte Vizepräsident Ross gerade in Europa war, sah Hayes seine Chance und packte sie am Schopf. Ross und Kennedy kamen nicht gut miteinander aus. Alexander hatte den Bereich der nationalen Sicherheit völlig seinem Vize überlassen, der immerhin der ehemalige Geheimdienstkoordinator war. Alexander konzentrierte sich auf die Bereiche Innenpolitik und Wirtschaft, während Ross für Landesverteidigung und Geheimdienste zuständig war. Mit anderen Worten: Kennedy würde ihren Job los sein, sobald die beiden ihre Ämter antraten.
Was Hayes seinem Nachfolger demonstrieren wollte, war, dass Irene Kennedy in ihrem Amt gute und erfolgreiche Arbeit leistete. Dass es nicht ratsam war, sie zu feuern, nur weil der Vizepräsident sie nicht mochte. Ein Vizepräsident, der im Übrigen ein ausgemachter Narzisst war. Es tat zwar gut, dass es noch Leute gab, die an einen glaubten, doch Irene Kennedy sah auch das Problematische an der Vorgangsweise des Präsidenten. Hayes hätte es eigentlich auch erkennen sollen, aber vielleicht nahm er es bewusst in Kauf. Das Problem war Mitch Rapp. Er würde sich eher eine Darmspiegelung machen lassen, als mit dem Justizministerium zusammenzuarbeiten. Dazu kam noch, dass sich die Medien begierig auf die Sensationsmeldung stürzen würden, was bei Rapp bestimmt für monatelange schlechte Laune sorgen würde.
Kennedy stand auf und trat einen Schritt auf Hayes und Alexander zu. Sie hielten in ihrem Gespräch inne und blickten zu ihr auf.
»Ich sollte Mitch Rapp von der Änderung informieren. Wenn Sie mich bitte entschuldigen, ich gehe schnell in den Situation Room und rufe ihn an.«
»Wir kommen mit«, erwiderte Hayes. »Ich würde ihm gern gratulieren.«
»Und ich möchte mich bedanken«, fügte Alexander hinzu.
Kennedy zuckte kurz zusammen. »Ich glaube, das ist keine so gute Idee. Zumindest nicht im Augenblick«, entgegnete sie.
Alexander sah sie irritiert an. »Warum?«
Präsident Hayes lachte. »Mitch steht nicht so gern im Rampenlicht. Das alles wird ihm gar nicht gefallen.«
»Das stimmt, Sir.«
Hayes wirkte amüsiert angesichts der Vorstellung, dass Rapp wahrscheinlich stinksauer war. Alexander schien das alles nicht so recht zu verstehen.
»Er ist nicht so wie wir«, versuchte Hayes seinem Nachfolger zu erklären. »Wir hängen unsere Auszeichnungen an die Wand, damit jeder sie sehen kann. Seine Medaillen und Urkunden liegen irgendwo in einem Safe in Langley, und ich wette, er hat sie sich noch nicht einmal angesehen. Habe ich recht?«, fragte er, zu Kennedy gewandt.
»Ja, Sir. Genau so ist es.«
»Haben Sie ihn schon mal getroffen?«, fragte Hayes seinen Nachfolger.
»Nein, aber ich habe schon viel von ihm gehört.«
»Glauben Sie nicht alles, was Sie hören. Vor allem, wenn es aus dem Mund Ihres Vizepräsidenten kommt.«
Kennedy fand, dass es ein guter Moment war, um zu verschwinden. »Sobald ich das Gespräch beendet habe, komme ich zurück und berichte Ihnen, was es Neues gibt.«
Sie drehte sich um und ging hinaus, durch das Büro der Sekretärin, danach die Treppe hinunter und an der Messe, dem kleinen Speisesaal des Weißen Hauses, vorbei. Vor der gesicherten Tür zum Situation Room blieb sie stehen und nahm die mit einem Strichcode versehene Kennmarke ab, die sie am Revers ihrer Jacke trug. Sie schob sie in den Scanner neben der Tür und hörte es klicken. Eine kleine Kamera über der Tür überwachte jede ihrer Bewegungen. Als die Tür klickte, trat sie ein und wurde von einem jungen Mann in Zivil, aber mit eindeutig militärischer Haltung, empfangen.
»Major Hansen, nehme ich an.«
»Ja, Ma’am.«
Wieder mal ein Marine, dachte sie. Man erkannte sie an der antiquierten Anrede »Ma’am« – ein Nebenprodukt der dreimonatigen harten Ausbildung, in der sie ständig von ihren Drill Instructors angeschrien wurden, während sie versuchten, das Boot Camp oder die Officer’s Candidate School zu absolvieren.
»Würden Sie bitte im Global Ops Center anrufen, damit sie Mr. Rapp für mich ans Telefon bekommen. Ich übernehme im Konferenzzimmer.«
»Jawohl, Ma’am. Sonst noch etwas, Ma’am?«
Sie überlegte, ob sie ihm sagen sollte, dass er mit seinem »Ma’am« aufhören
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