Der Verrat
Schüsse auf den Gefangenen abgegeben hast, weil das FBI den Kerl nämlich in Gewahrsam nehmen wird, sobald ihr gelandet seid – und sie werden dich garantiert danach fragen.«
»Glaub mir, du würdest es nicht verstehen.«
»Das werden wir schon sehen.«
»Du arbeitest an deinem Schreibtisch, und ich arbeite draußen im Feld.«
»Mitchell!«, rief sie gereizt.
»Er war bewaffnet, ich war auf seinem Territorium, es waren andere Leute mit im Spiel, und ich habe ohne Unterstützung gearbeitet.«
»Wo waren die anderen?«
»Sie wurden am Flughafen aufgehalten.«
»Und du konntest nicht auf sie warten?«
»Nein.«
»Oder war es vielleicht so, dass du nicht warten wolltest?«
»Ja, Irene. Ich wollte wieder mal der einsame Cowboy sein, der alles ganz allein erledigt. Ich werde dir was sagen. Vielleicht lasse ich den Piloten auf zweitausend Meter runtergehen, dann mache ich die Tür im Frachtraum auf und werfe diesen Scheißkerl mit einem Fußtritt ins Meer – dann könnt ihr mich alle kreuzweise.«
»Mitch, ich habe nicht gesagt, dass du das getan hast, damit du als der große Held dastehst. Worum es mir geht, ist …«
»… mich aus der Ferne zu kritisieren.«
»Ich kritisiere dich nicht. Ich will nur erfahren, was passiert ist, damit wir uns überlegen können, was wir dem FBI erzählen.«
»Es war so, wie ich gesagt habe: Wir waren auf seinem Territorium, er hatte schon zwei Leute erschossen, und ich hatte nicht die Zeit, um auf Verstärkung zu warten, also habe ich die Sache in die Hand genommen.«
»Warum musstest du ihm vier Kugeln verpassen?«
»Der Typ ist gut. Ich war solo unterwegs, also musste ich ihn schnell außer Gefecht setzen.«
»Was meinst du mit außer Gefecht setzen?«
»Ich musste ihn kampfunfähig machen.«
Kennedy überlegte einen Augenblick.
Bevor sie etwas sagen konnte, fügte Rapp hinzu: »Dieser Typ ergibt sich nicht einfach, wenn man Hände hoch ruft.«
»Also hast du zuerst geschossen und dann die Fragen gestellt.«
»So ungefähr, ja.«
»Wo hast du ihn verletzt?«
»An beiden Knien.«
»Das sind erst zwei Schüsse. Du hast gesagt, es waren vier.«
»Und dann noch an den Händen.«
»Dann hast du ihn praktisch gekreuzigt.«
»Nein. Dazu hätte ich auch auf die Füße schießen müssen.«
Kennedy stellte sich vor, wie ungünstig das in der Öffentlichkeit wirken würde. »Meinst du nicht, dass du ein bisschen zu weit gegangen bist?«
»Irene, ich sage es jetzt noch ein letztes Mal. Ich war derjenige, der hier draußen seinen Arsch riskiert hat, um diesen Kerl zu schnappen. Ich hatte gesehen, wie er innerhalb von zehn Minuten zwei Leute umgelegt hat, und keiner der beiden hatte auch nur die geringste Chance. Der Kerl ist gut. Ich war derjenige, der vor Ort war und eine Entscheidung treffen musste – und alle, die es jetzt wieder mal besser wissen, können mich mal.«
»Und das gilt auch für mich.«
»Ja, und für Präsident Hayes und den designierten Präsidenten Alexander und alle anderen Besserwisser, die mich jetzt vom Lehnstuhl aus kritisieren. Ich sage dir noch etwas. Das nächste Mal, wenn wieder so etwas passiert, dann könnt ihr alle eure Bürokratenärsche in Bewegung setzen, eine Knarre in die Hand nehmen und zusehen, wie ihr die Sache selber in Ordnung bringt. Mal sehen, wie weit ihr kommt. Wenn ihr an einen Typen wie Gazich geratet, dann wird er euch eine Kugel in den Kopf jagen, bevor ihr auch nur Hände hoch sagen könnt.«
Kennedy starrte auf die holzgetäfelte Wand vor ihr. »Bist du jetzt fertig?«, fragte sie schließlich.
»Ja … ich bin fertig. Und sobald ich gelandet bin, steige ich ins nächste Flugzeug und bin weg.«
»Was meinst du damit – du bist weg?«
»Ich steige in das nächste Flugzeug, das mich so weit wie möglich von Washington wegbringt.«
»Das kannst du nicht machen, Mitch. Du musst uns deinen Bericht abliefern, und dann wird auch das FBI noch mit dir sprechen wollen.«
»Tja, das ist nicht mein Bier. Ich habe die Drecksarbeit erledigt. Ihr könnt euch jetzt überlegen, wie ihr euren Zirkus veranstaltet, weil ich dabei nämlich nicht mitmache.«
»Das kannst du nicht …« Es klickte in der Leitung, dann war die Verbindung unterbrochen. Kennedy starrte einen Moment lang auf den weißen Hörer hinunter und schüttelte den Kopf. In all den Jahren war ihr noch nie jemand begegnet, der ihre Nerven derart auf die Probe gestellt hatte wie Mitch Rapp.
Die Tür zum Konferenzzimmer ging auf, und der Präsident trat
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