Der Verrat Der Drachen: Roman
stand, war vernichtend.
»Deine einzige Sorge sollte dem gelten, was ich von dir verlange«, erwiderte Azoth; er senkte die Stimme, die eine gewisse drohende Schärfe gewann. »Oder willst du etwa das Leben aufs Spiel setzen, das du in der Hand hältst?«
Alterin senkte den Kopf, bis sie beinahe im Boden zu versinken schien. »Nein«, sagte sie.
»Gut.« Azoth sah Shaan an. »Komm her«, sagte er.
Sie schluckte und brachte die Strecke hinter sich, die sie von ihm trennte.
»Du siehst bezaubernd aus.« Sein Blick schweifte über ihr Kleid. Es ließ sie wünschen, sie hätte es von sich reißen und damit nach ihm werfen können, aber sie hielt den Mund. Er legte ihr leicht eine Hand in den Nacken.
»Wir unterhalten uns gleich«, sagte er, »aber erst muss ich etwas von unserer Freundin, der Seherin, erfahren. Sie hat für mich meine Geschwister im Auge behalten.« Er wandte sich an Alterin. »Was hast du gespürt?«
»Die Vier bewegen sich, sie sind beinahe vereint. Nur der Dunkle, der Starke, muss noch zu ihnen stoßen.«
»Vail«, zischte Azoth leise und zog die Hand von Shaans Nacken zurück. »Wie bald?«
»Vielleicht schon heute Nacht.«
»Und ihre Pläne?«
Alterin schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht herausfinden, ohne den Stein einzusetzen.«
»Nun, vielleicht versuchen wir es später«, sagte Azoth, und Alterins Schultern krümmten sich zuckend enger zusammen. Shaan sah einen kleinen Kasten an, der auf dem Steintisch stand. Sie hatte ihn schon beim Eintreten gespürt. Das Summen, das seltsame Leben darin, das nach ihr griff wie die Tentakel irgendeines Meereswesens. Was hatte Azoth damit erreichen wollen, dass er ihn mit Alterin benutzt hatte? Der Stein konnte sie töten.
Regen setzte erneut ein und prasselte leise aufs Dach.
»Alhanti!« Azoth erhob die Stimme und blickte über Shaans Schulter zur Tür. »Komm herein und hol deinen Schützling ab.« Er sah sie mit einem Ausdruck neugieriger Vorfreude an.
Shaan runzelte die Stirn. Schwere Schritte ertönten auf dem Boden hinter ihr, und sie spürte, wie etwas Großes hereingeschritten kam. Eines von Azoths Geschöpfen. Sie drehte sich leicht um – und ihr blieb schier das Herz stehen; ihre Haut kribbelte, als ob ein kalter Windstoß hereingefahren wäre
Jared!
Der hübsche Clansmann war zu etwas anderem geworden, etwas Verändertem – größer, stärker, mit einem drachenhaften Kamm, der aus der nackten Haut seiner Wirbelsäule aufragte. Shaan musste an sich halten, um nicht aufzuschreien, und ihr Gesicht so ausdruckslos zu halten, wie sie nur konnte. Oh, Göttin! Alterin, Jared, es tut mir so leid. Sie versuchte, ihn nicht anzusehen, als er an ihr vorbeiging; er nahm ihre Anwesenheit gar nicht wahr.
»Bring sie in ihr Zimmer«, sagte Azoth, den Blick noch immer auf Shaan gerichtet.
Der Alhanti, der einst Jared gewesen war, bückte sich, umfasste Alterins Arm und zog sie auf die Beine. Er war beinahe sanft, aber sein Gesicht zeigte nichts: Die Augen wiesen seltsamerweise immer noch ihr ursprüngliches Braun auf. Shaan wusste, dass er Alterin geliebt hatte, aber jetzt verhielt er sich, als ob sie ein Niemand sei. Während sie ihm hinausfolgte, begegnete Alterins Blick dem Shaans. Die Trauer in ihren Augen war beinahe mehr, als Shaan ertragen konnte, aber die Verurteilung, die in ihnen stand, war noch schlimmer. Es gab nichts, was sie zu ihr sagen konnte, keine Möglichkeit, die Gedanken zu beschwichtigen, die Alterin durch den Kopf gehen mussten – dass Shaan alle verraten hatte, die sie liebten. Der Seherin zu enthüllen, warum sie wirklich hergekommen war, hätte geheißen, zu riskieren, sich an Azoth zu verraten, und das durfte sie nicht tun!
Der Raum war sehr still, nachdem sie gegangen waren, bis auf den Klang des Regens und den fernen Ruf eines Drachens. Der Schrei jagte Shaan einen Schauer die Wirbelsäule entlang.
»Endlich allein«, sagte Azoth. Der Klang seiner Stimme hallte wider, ließ ihr das Blut an die Hautoberfläche strömen. Ein Lächeln spielte um seine Mundwinkel.
»Gefällt dir die Stadt, die ich geschaffen habe?«, fragte er. Shaan rang darum, ihren Atem unter Kontrolle zu halten, als sie sprach: »Sie ist jetzt ganz anders.«
Er trat einen Schritt auf sie zu. »Morgen werde ich dir zeigen, wie anders.« Dann stand er plötzlich so schnell, dass sie seiner Bewegung kaum zu folgen vermochte, neben ihr, hatte ihr Kinn ergriffen und zwang sie, ihm ins Gesicht zu sehen.
»Warum bist du hier?«, flüsterte
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