Der Verrat: Thriller (German Edition)
Grimasse. »Die Schmerzmittel machen mich total high. Ich mag Drogen nicht. Ich mag es nicht, wie ich mich dann fühle. Hab’s noch nie gemocht. Es ist erträglich, Steph, glaub mir. Weil ich weiß, dass es besser wird, kann ich es aushalten. Es wird nicht lange so sein.« Sie stieß schnaufend die Luft aus. »Und Simon sagt, die Operation war erfolgreich. Jetzt muss ich nur noch die Chemo machen und zusehen, wie mir die Haare ausfallen.«
Was sie auch taten, eine Handvoll nach der anderen. Nach der ersten Dosis der Chemo, einem harten Tag, an dem Scarlett eine Infusion giftiger Chemikalien über sich hatte ergehen lassen und sich im Laufe der Stunden immer elender fühlte, fingen ihre Haare an, dünner zu werden. Nach drei Sitzungen fehlten schon ganze Büschel. Es sah aus, als hätte sie einen besonders aggressiven Zickenkampf hinter sich.
Zurück in der Hazienda beschloss sie, den kühnen Schritt zu tun und ihren Kopf kahl zu rasieren. Aber vorher musste sie sich einen Hut zulegen. Nichts in ihrem Kleiderschrank war geeignet, deshalb schickte sie Leanne über die A13 ins Lakeside Shopping Centre mit seinen Einkaufsmöglichkeiten am späten Abend.
Als Leanne mit vollen Einkaufstüten zurückkam, hatten wir Scarletts Haar schon auf Stoppellänge gestutzt. Sie hielt das schwere Haarbündel in der Hand, und ihre Augen glitzerten tränennass. »Was meinst du, Steph? Soll ich das aufheben? Es mit einem Band zusammenbinden, um mich an das zu erinnern, was ich verloren habe?«
»Das ist deine Sache. Aber es wird wieder wachsen, weißt du. Bei manchen Leuten wächst es tatsächlich dichter nach als zuvor.«
Sie schnitt eine Grimasse. »Du hast recht.« Sie ging zum Abfalleimer in der Küche, aber bevor sie das Haar hineinwarf, hielt sie inne. »Was mache ich denn da?«, rief sie aus. »Du brauchst ein Bild davon. Das lässt sich doch für einen Artikel in einer Frauenzeitschrift ausbauen.« Scarlett schüttelte ungläubig den Kopf. »Verdammter Mist, Steph, wir lassen nach. Hol die Kamera.«
Also tat ich, was sie verlangte. Ich machte rundum Fotos von ihrem stoppeligen Kopf und fotografierte, wie sie betrübt auf die abgeschnittenen Haare in ihrer Hand hinunterblickte. Ich machte Fotos von ihrem Kopf, der nach der Rasur mit dem elektrischen Rasierapparat völlig kahl war und glänzte; und schließlich schoss ich Fotos von ihr, wie sie die ganze Palette von Hüten anprobierte, die Leanne gebracht hatte.
»Der gefällt mir am besten«, verkündete Scarlett und drehte vor ihrem Ankleidespiegel den Kopf hin und her. Es war ein salbeigrüner Glockenhut mit einem hochgeschlagenen Rand aus leichtem Fleecestoff. Er stand ihr gut, besonders, wenn sie lächelte.
»Gute Wahl«, sagte Leanne. »Den gibt es in drei oder vier verschiedenen Stoffen und etwa zehn Farben. Ich kann morgen noch mal zu einem kompletten Beutezug hinfahren. Du wirst Hüte für jedes Wetter und kombinierbar mit allen Outfits haben.«
Scarlett fing meinen Blick auf. »Dann bin ich eine total neue Person«, sagte sie, konnte aber ihre Traurigkeit nicht ganz verbergen. »Ich werde wie die Queen sein, außer Haus niemals ohne Hut.«
»Du wirst zur Stilikone werden«, sagte ich, weil ich sie beruhigen wollte.
»Vielleicht. Aber jetzt muss diese Stilikone ins Bett.« Sie gähnte und nahm den Hut ab. »Der arme Jimmy wird morgen früh ausflippen, wenn er mich sieht.«
Aber das tat er nicht. Er bemerkte die Veränderung kaum. Ich war erstaunt. Wie Scarlett hatte ich erwartet, dass er verängstigt oder erschrocken oder zumindest verwirrt sein würde. Ich fragte deshalb Simon, als ich ihn beim nächsten Chemo-Termin sah. »Sie würden sich wundern«, sagte er. »Kinder reagieren auf den Menschen, nicht auf sein Aussehen. Ich habe Fälle erlebt, da hatten die Eltern schreckliche Angst, das Kind die Patientin sehen zu lassen, weil sie dachten, es werde eine alptraumartige Erfahrung sein. Aber so läuft es nicht. Selbst wenn der Krebs oder die Therapie ganz tiefgreifende Entstellungen verursacht, scheinen die Kinder der Patienten nicht verängstigt oder abgestoßen zu sein. Es ist ein interessanter Beweis für ihre Fähigkeit, zu begreifen, was uns zu dem Menschen macht, der wir sind, und dass das im Inneren liegt und nicht vom Äußeren abhängt.« Ein kurzes, trauriges Lächeln huschte über sein Gesicht. »Das ist eine der Eigenschaften, von der ich mir wünschte, dass wir bis ins Erwachsenenalter daran festhalten könnten.«
Scarlett hatte Simons Bemerkung
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