Der Verrat: Thriller (German Edition)
bleiben. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich einen Behandlungsabschnitt verpasst hatte, aber Scarlett beharrte darauf, dass ich ihretwegen nicht meine Karriere vernachlässigen könne. »Ich bin froh, dass du in guter Gesellschaft warst«, sagte ich.
»Es hat sich wirklich als Vorteil erwiesen«, antwortete sie. »Du wirst nie erraten, wer in der Klinik aufgetaucht ist.« Ihre Lippen verzogen sich angewidert.
Mir fiel nur ein Mensch ein, der eine solche Reaktion bei ihr auslösen konnte.
»Doch nicht Joshu?«
Sie nickte. »Auf Anhieb erraten. Der Scheiß-Joshu.«
Mir wurde schwer ums Herz. Joshu war ein totaler Nichtsnutz. Wann immer er auftauchte, gab es Ärger. Er konnte Scarlett immer noch so schnell zu einem Streit reizen, dass es kaum zu fassen war. All ihre Selbstbeherrschung war dahin, wenn er mit einer Variation zu ihrer Ungerechtigkeit, ihrer miesen Kindererziehung und ihrem Egoismus in Beziehung auf das Besuchsrecht loslegte. Dabei half es nicht gerade, dass seine Drogenabhängigkeit sich stufenweise verschlimmert zu haben schien, seit sie sich getrennt hatten. Auch das ein Vorwurf, den er ihr machte. Jede Unzulänglichkeit in seinem Leben konnte Scarlett zugerechnet werden. Mir wurde ganz schlecht bei dem Gedanken, dass er während ihrer Behandlung gekommen war. »Wieso wusste er, wo du warst? Und wann du zur Behandlung in der Klinik sein würdest?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Es ist ja kein Staatsgeheimnis. Die Klinik wurde in den Zeitungen erwähnt. Und du weißt doch, wie gut Joshu es hinkriegt, Frauen etwas abzuschwatzen. Er hat bestimmt eine Krankenschwester oder eine Sekretärin angequatscht und herausbekommen, wann ich wieder hinkommen musste.«
»Wie schlimm war er?«
Sie sah zufriedener mit sich selbst aus, als ich erwartet hatte. »Er kam ins Zimmer gestürmt und fing an, sich darüber auszulassen, dass ich ein Testament machen und ihm Jimmy überlassen müsse, da ich ja jederzeit den Löffel abgeben könnte.«
»Was für ein totaler Scheißkerl er doch ist. Wie kann er es wagen, dich so zu überfallen, wenn er weiß, dass du um dein Leben kämpfst? Begreift er nicht, was für dich auf dem Spiel steht?« Ich war empört, aber Scarlett schloss sich mir nicht an.
»Die Sache ist, dass er vollkommen daneben war. Er schlug mit den Armen wie ein Huhn. Es hätte eigentlich erschütternd auf mich wirken sollen, aber das tat es nicht. Es war lustig. Ich hielt mich zurück und lachte nicht, weil ich wusste, das würde ihn noch wütender machen. Aber plötzlich sprang Simon auf und schubste Joshu aus der Tür. Wortwörtlich. Er hielt ihn an der Kapuze gepackt und führte ihn aus dem Klinikgelände hinaus.« Sie kicherte. »Mein Held.«
»Verdammt noch mal«, sagte ich. »Wir hätten Simon dabeihaben sollen, als Joshu versuchte, das Tor zu stürmen, nachdem du ihn verlassen hattest.«
»Allerdings. Er war wie ein Hund mit gesträubtem Nackenfell. Total aufgebracht, dass ein Angeber wie Joshu es wagte, den Frieden seiner heißgeliebten Klinik und seiner Patienten zu stören.«
»Aber er hat recht«, gab ich ihr zu bedenken. »Niemand kommt zum Spaß in diese Klinik. Man hat hier an Wichtigeres zu denken, als sich mit dem hemmungslosen Gelaber eines verwöhnten Flegels wie Joshu abzugeben.«
»Na ja, Simon hat ihm schleunigst gezeigt, wo’s langgeht.«
»Das ist aber jetzt ein neuer Blickwinkel: ›Ich sollte Jimmy bekommen, weil du sterben wirst.‹«
Scarlett wurde ernst. »Es ist ein schrecklicher Blickwinkel. Wenn man Joshus ganzes Theater weglässt, ist es kein angenehmer Gedanke. Was ist, wenn Simon nicht recht hat und ich es nicht schaffe? Joshu ist schließlich Jimmys Vater. Und es ist nicht so, als wäre er von dem Jungen entfremdet. Sie haben eine Beziehung. Sie lieben sich, das habe ich nie geleugnet oder es zu unterbinden versucht. Aber Joshu ist ein verantwortungsloser Depp, der nicht einmal für sich selbst sorgen und sich auf keinen Fall auch noch um ein Kind kümmern kann. Simon sagt, ich solle mir keine Sorgen machen, es werde nie eintreten. Und ich versuche, daran festzuhalten.« Sie warf mir ein Lächeln der früheren Scarlett zu, das einfache, unkomplizierte, strahlende Lächeln, das oft ihr Gesicht erhellt hatte, bevor der Krebs alles so schwierig machte.
»Aber jetzt, wo Joshu das Thema angeschnitten hat, ist der Gedanke da und lässt sich nicht verdrängen.« Ich sprach hauptsächlich für mich selbst, aber Scarlett nahm das auf, was ich gesagt hatte.
»Es
Weitere Kostenlose Bücher