Der Verrat: Thriller (German Edition)
arbeiteten. Als Nick auf seinen Schreibtisch zuging, rief ihn eine einsame Stimme an: »Du Glückspilz, wie hast du es geschafft, aus dem verdammten Kasten rauszukommen?« Davy »Dickerchen« Brown war zur gleichen Zeit wie Nick der Untersuchung des Abhör- und Korruptionsskandals zugewiesen worden, und er war noch weit weniger geeignet, mit einem Haufen Schlipsträger in einem Gebäude festzusitzen.
»Ich habe eine noch beschissenere Nummer erwischt«, sagte Nick und ließ sich auf seinen Stuhl fallen, während er seinen Computer zum Leben erweckte. »Besorgungen für das FBI erledigen. So glamourös wie ’ne langweilige Kleinstadt an einem Sonntagmorgen.«
Davy stapfte zu Nicks Schreibtisch hinüber. »Hast du ’ne Tasse da?« Er holte eine Flasche mit einem Rest Scotch heraus.
»Behalt ihn«, sagte Nick. »Ich bin sowieso schon zu verdammt müde. Sonst fall ich vom Stuhl.«
Davy schlurfte nörgelnd davon. »Ich dachte, ihr Jungs aus Manchester feiert angeblich so gern?«
»Stimmt, Davy. Aber ihr habt hier nicht die richtigen Tische zum drauf Tanzen.« Er klickte auf seine anstehenden Nachrichten, um zu sehen, was ihn erwartete. Beim Überfliegen der Liste hereinkommender Mails vernachlässigte er alles, was mit der Aufgabe zu tun hatte, die ihm vorerst erspart geblieben war. Es gab drei andere, die versprachen, für das relevant zu sein, was ihm mehr am Herzen lag. Die erste war von der Polizei in Cambridgeshire. Die Frau, der Nick den Namen Megan die Stalkerin gegeben hatte, war zur Sicherheitsverwahrung in eine psychiatrische Anstalt in ihrem Bezirk eingeliefert worden; deshalb war diese Institution seine erste Anlaufstelle. Die E-Mail war kurz und sachdienlich. Megan Owen war nach dem Gesetz für psychisch Kranke eingewiesen, aber vor sechs Wochen wieder entlassen worden. Sie lebte zurzeit in einem betreuten Wohnheim, wo sie sich an die Bedingungen hielt, die ihr bei der Entlassung auferlegt worden waren. An dem entsprechenden Abend hatte sie um acht Uhr im Aufenthaltsraum gesessen und mit drei anderen Bewohnern im Fernsehen eine Seifenoper gesehen. Sie war definitiv nicht in Chicago gewesen, um Jimmy Higgins zu entführen.
Das war eine Erleichterung. Wenn Verrückte kleine Kinder in die Hände bekamen, war das nie eine gute Nachricht. Eins abgehakt, noch zwei zu erledigen. Laut der West Yorkshire Police waren Chrissie und Jade Higgins beide daheim in dem Haus, das Scarlett für sie gekauft hatte. Beide Frauen schienen nicht besonders beunruhigt von der Mitteilung, dass Jimmy entführt worden war.
Die andere relevante Nachricht stammte von der örtlichen Polizei in Peckham, die er gebeten hatte, den Aufenthaltsort von Pete Matthews zu überprüfen. Auch auf diese Antwort hatte man nicht viele Worte verschwendet. Pete Matthews war nicht zu Hause gewesen. Einem Nachbarn zufolge arbeitete er auswärts und war schon sechs Wochen weg. Der Nachbar hatte keine Ahnung, wo er war, aber er sagte, er wisse, dass Matthews in den letzten zwei Jahren in den USA, der Karibik und Südafrika gearbeitet hätte.
Nick spürte, dass sich seine Nackenhaare aufstellten. Kindesentführung hatte meistens eines von drei Motiven: Entweder ein Elternteil hatte das Gefühl, dass ihm das Kind auf ungerechte Weise entzogen wurde, Lösegeld, oder es lag eine zutiefst perverse Motivation zugrunde. Pete Matthews war auf jeden Fall ein zutiefst perverses Motiv zuzutrauen, er wollte Stephanie verletzen und ihr zeigen, wer das Sagen hatte. Er hatte sie schon früher belästigt und bewiesen, dass seine Vorstellung von einem vernünftigen Verhalten erheblich vom Normalen abwich. Und Nick wusste nicht, wo er sich jetzt gerade aufhielt.
Er rief sich seine früheren Auseinandersetzungen mit Pete Matthews ins Gedächtnis. Auch damals schon hatte er Probleme gehabt, ihn zu finden, hauptsächlich, weil der Mann zu unregelmäßigen Zeiten arbeitete und keinen festen Arbeitsplatz hatte. Schließlich hatte sich Nick eine Liste der Aufnahmestudios angelegt und sie geduldig nacheinander überprüft, bis er das gefunden hatte, wo Matthews gerade arbeitete. Wenn er in seinen alten Notizbüchern nachschaute, würde er da vielleicht einen Ansatzpunkt entdecken.
Nick ging auf einen Schrank zu, in dem er seine vollgeschriebenen Notizbücher aufbewahrte; darin hatte er seine Aktivitäten Schritt für Schritt festgehalten, und später, wenn die Fälle vor Gericht verhandelt wurden, dienten ihm die Aufzeichnungen als Gedächtnisstütze. Er suchte das
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