Der Verrat: Thriller (German Edition)
George wurde bereits geboren mit der Gabe, perfekte Rauchringe auszustoßen. »Scarlett hat sich nicht immer an die üblichen Nettigkeiten im zivilisierten gesellschaftlichen Miteinander gehalten«, stellte er müde fest. »Sie hat sich gut geschlagen für jemanden, der eine so benachteiligte Kindheit hatte. Und benachteiligt meine ich nicht im materiellen Sinn. Ich meine damit, dass ihr all die Dinge fehlten, die das Leben in dieser Welt für Sie und mich angenehm gemacht haben. Dinge, die wir als gegeben hinnehmen. Wie zum Beispiel, dass man bei Tisch wartet, bis jeder etwas bekommen hat, bevor man zu essen anfängt. Wie zum Beispiel, dass man weiß, ein Currygericht kann man auch selbst kochen. Wie zum Beispiel, dass man sich bedankt, wenn einem jemand Blumen schickt. Diese Leute leben wie Wilde, Stephanie. Die Art, wie sie ihre Kindheit beschrieben hat, hat mich fast zum Weinen gebracht. Deshalb hat sie nicht immer die Verpflichtungen verstanden, die normalerweise mit Freundschaft einhergehen. Sie hätte es Ihnen sagen sollen. Aber ich kann verstehen, warum sie es nicht getan hat.«
»Ich kann es auch verstehen, und es macht mich traurig.« Ich erhob mich und schlug George auf die Schulter. »Eine gute Seite hat Scarletts Testament ja.«
»Und die wäre?«
Ich lächelte: »Ich glaube nicht, dass wir von Chrissies und Jades Anwälten hören werden.«
46
M an hätte ja denken können, das sei genug Mist gewesen für einen Tag. Aber es war noch nicht vorbei. Noch lange nicht. Die Dämmerung setzte ein, und ich machte mich auf den Weg über den Parkplatz zurück zum Hotel. George ließ ich in der grässlichen Grotte zurück, wo er seine Zigarre zu Ende rauchte. Ich war schon fast in Sicherheit, als Pete hinter einem geparkten Geländewagen hervortrat und mir den Weg verstellte. »Hallo, Schätzchen«, begrüßte er mich mit dem entspannten Lächeln eines Mannes, der weiß, dass er willkommen ist.
Meine Schritte gerieten ins Stocken, und ich wich zurück. Doch ich war nicht schnell genug. Pete bewegte sich wesentlich zügiger als ich, und bevor ich wusste, wie mir geschah, hatte er mich mit dem Rücken an das Fahrzeug gepresst und hielt mich rechts und links an den Armen. Er drängte sich noch näher an mich heran und drückte mich fester gegen den Wagen. Sein vertrauter Körpergeruch ließ Übelkeit in mir aufsteigen. Es war mir mittlerweile völlig unverständlich, wie ich diesen animalischen Geruch früher mögen konnte, ja seinen maskulinen Duft regelrecht geliebt hatte. Jetzt hätte ich sogar liebend gerne Scarlett Smile geschnuppert, nur um ihn nicht riechen zu müssen.
»Lass mich los, Pete«, forderte ich und versuchte dabei, ruhiger zu klingen, als ich in Wirklichkeit war.
»Das kann ich nicht, Stephanie. Es ist so lange her, seit ich dich zum letzten Mal gehalten habe.« Er rieb sein Gesicht an meinem Hals. Ich spürte nur einen leichten Anflug von Bartstoppeln. Er hatte sich also rasiert, bevor er hierhergekommen war, und seine Haut fühlte sich fast glatt auf der meinen an. Aber das wirkte irgendwie abstoßend auf mich.
»Lass mich los«, beharrte ich und drehte das Gesicht zur Seite. »Du weißt, dass das nicht richtig ist, Pete. Es ist vorbei.«
»Sei doch nicht albern, Stephanie. Du brauchst mich jetzt mehr als je zuvor. Ich habe von dem Kind erfahren, weißt du. Ein Junge braucht einen Vater, wenn er nicht aufwachsen soll wie ein verwöhntes Muttersöhnchen. Und für diese Aufgabe ist niemand besser geeignet als ich.« Er presste mich gegen den Wagen, und ich spürte, dass er eine Erektion bekam. So langsam begann ich, ernsthaft Angst zu verspüren. Nur wenige Schlafzimmer gingen auf diese Seite des Parkplatzes heraus, und in keinem von ihnen brannte Licht. Sein heißer Atem an meinem Hals, seine Haut auf meiner und seine gierige Lüsternheit, das alles kombiniert bewirkte, dass eine kalte Welle der Furcht mich erfasste. Bei seiner Verfolgung war er bis jetzt noch nie so weit gegangen.
»Ich brauche dich nicht, Pete. Und ich will dich nicht. Das ist nicht richtig.«
»Natürlich ist es richtig.« Seine Stimme war jetzt rauher. »Du gehörst mir. Du hast mir schon immer gehört. Und jetzt werden wir eine Familie sein. Du, ich und Jimmy. Wir werden für immer zusammen sein.«
»Nein«, schrie ich. »Lass mich los, Pete!«
Seine Hand schoss vor, und er ohrfeigte mich. Ich keuchte vor Schock und Schmerz, und meine Pupillen weiteten sich vor Angst. »Schrei mich nicht an, Stephanie. Weißt du,
Weitere Kostenlose Bücher