Der Verrat: Thriller (German Edition)
hatten. Sie schrien sich an und verprügelten einander. So eine Situation, in der man sich als kleines Kind unter dem Bett verkriechen will und in seiner eigenen Pisse liegt.«
Es ließ sich darauf kaum etwas sagen, das nicht herablassend und ablehnend geklungen hätte. »Fragst du Leute über ihn aus? Leute, die ihn kannten?«
»Natürlich. Solches Zeug willst du schließlich wissen, oder?«
»Klar, darum fragst du ja auch. Und du solltest das Wissen an dein Kind weitergeben. Erzähl mir also, was du über ihn weißt. Was andere Leute dir erzählt haben.«
Es war eine deprimierende Geschichte. Alan Higgins war eines von sieben Kindern gewesen, die dank eines Trinkers als Vater und einer Schlampe als Mutter von Kindesbeinen an verwahrlost waren. Seine älteren Brüder hatten ihn schon früh mit Einbrüchen, Autodiebstahl und einer ganzen Palette von Gaunereien bekannt gemacht, und er hatte sich mit Begeisterung der Kriminalität verschrieben. Leider war seine Begeisterung größer gewesen als seine Fähigkeiten, seine Intelligenz oder sein Glück. Als er Chrissie kennengelernt hatte, war er als Jungendlicher schon zweimal und als Erwachsener einmal wegen Körperverletzung im Gefängnis gewesen. Bei dem letzten dieser Aufenthalte hatte er die Wonnen des Heroins entdeckt, und von da an wurde sein Leben zu einer ermüdenden Tretmühle von Diebstählen, um seine Abhängigkeit zu finanzieren, des Erwischtwerdens, der darauffolgenden Haftstrafe, Entlassung und eines neuerlichen Kreislaufs. Dazwischen war er gerade lange genug in Freiheit gewesen, um Chrissie zu schwängern, die Scarlett und Jade, deren ältere Schwester, zur Welt brachte, aber im alltäglichen Zusammenleben war er selten vorhanden.
»Alle, die ihn kannten, sagen, dass er kein schlechter Mensch war«, sagte Scarlett matt. »Er war nur schwach. Und faul. Wenn man reich ist und dazu schwach und faul, wird dafür gesorgt, dass man irgendwie eine Stelle bekommt oder so. Aber wenn man arm ist, dann geht es so aus wie bei meinem Dad.« Eine weitere überraschende Einsicht. Und sobald Scarlett es gesagt hatte, schien es, als hätte sie die Worte am liebsten zurückgenommen.
Ich wollte keine große Sache daraus machen. Aber ich begann zu vermuten, dass Scarlett Harlot mehr draufhatte, als auf Anhieb zu erkennen war, und ich wollte sie mir gegenüber nicht argwöhnisch stimmen. »Wie ist er gestorben?«, fragte ich, um mit dem Gespräch weiterzukommen. Ich glaubte, die Antwort zu kennen, wollte es aber von ihr hören, um zu sehen, wie ehrlich sie sein würde.
»Du weißt doch, wie er starb. Du bist nicht hierhergekommen, ohne mich vorher zu googeln. Es ist im Internet. Sag du es mir doch.« Mit verschränkten Armen starrte sie mich an und wartete darauf, dass ich wegsehen würde.
»Natürlich hab ich dich gegoogelt. Ich habe nachgeforscht, bevor ich zusagte, dich überhaupt zu treffen. Hätte mich das, was ich dort las, nicht interessiert, hättest du niemals meinen Namen erfahren. Aber das heißt nicht, dass ich alles glaube, was online ist. Ich wäre bei meiner Arbeit eine ziemliche Blindgängerin, wenn ich das täte. Ich weiß, was ich über deinen Dad gelesen habe. Und auch du weißt wahrscheinlich, was ich gelesen habe. Aber ich bitte dich, mir die Wahrheit darüber zu sagen.« Wir hatten noch kaum eine Stunde des Tages miteinander verbracht, und ich fühlte mich schon erschöpft. Scarlett zu besänftigen war schwieriger, als eine Katze im Wartezimmer des Tierarztes zu beruhigen. Die meisten leidlich berühmten Promis waren so begeistert, einen Zuhörer zu haben, und so überzeugt, dass jeder Aspekt ihres Lebens faszinierend war – bei ihnen bestand das Problem eher darin, sie zum Schweigen zu bringen. Aber bei Scarlett musste ich mir mein Geld redlich verdienen. Es ging ja schon eine ganze Weile so, und ich war nicht mehr sicher, dass mir dieses Projekt Spaß machen würde.
Sie starrte mich noch etwas länger an, dann lenkte sie ein. »Es ist wahr. Was da online steht. Er ist an Aids gestorben. Er muss es von einer schmutzigen Nadel gekriegt haben. Im Gefängnis haben sie immer die Spritzen gemeinsam benutzt. Sie hatten keine andere Wahl. Es gibt keine Austauschnadeln im Knast. Ja, eine verschmutzte Nadel.« Sie presste den Mund fest zusammen. »Oder was er sonst tun musste, um an den Stoff zu kommen, als er saß. Ich bin nicht blöd, ich weiß, was da vor sich geht.«
»Das muss schwer gewesen sein für deine Mum.«
»Wem sagst du das! Mit dem
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