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Der Verrat: Thriller (German Edition)

Der Verrat: Thriller (German Edition)

Titel: Der Verrat: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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Sie drehte sich um und lächelte mich wieder strahlend an, ein Lächeln, das ihr ganzes Gesicht aufleben ließ. »Sonst muss ich Carla anrufen und ihr sagen, sie soll ihren Hintern herbewegen und uns zeigen, wie man’s macht.«
    »Das kann ja nicht so schwer sein. George Clooney schafft es immerhin auch, und er ist ja nur ein Mann.« Es dauerte nicht lange, es herauszubekommen, aber Scarlett war beeindruckt, als ich es schaffte, mir innerhalb von ein paar Minuten einen anständigen Kaffee zu machen.
    »Willst du hier drin arbeiten?«, fragte Scarlett mit einem Blick auf meine Schultertasche. »Da ist ’n Tisch, damit du dir Notizen machen kannst.«
    »Einen Tisch brauche ich nicht. Ich nehme unser Gespräch auf und mache hin und wieder eine Notiz, aber dazu habe ich einfach meinen Laptop auf dem Schoß. Wir werden ja stundenlang rumsitzen. Da ist es besser, wenn wir’s bequem haben. Wie wär das Wohnzimmer mit den Sofas?«
    »Du meinst nicht, dass das zu sehr wie einfach rumhängen ist?«
    »Glaub mir, einfach rumhängen ist gut. Je mehr du dich entspannst, desto natürlicher wirst du klingen.« Sie schien immer noch skeptisch, ging aber voran. »Bist du dazu gekommen, die Fotos zu suchen?«, fragte ich, bevor sie sich hinsetzte.
    »Ich hab mal nachgesehen«, antwortete sie. »Es ist nicht viel da. Warte mal ’n Moment.« Scarlett verschwand im Flur, und ich hörte leise Schritte auf der Treppe. Ich hatte sie gebeten, mir ihr Leben auf Fotos zu zeigen, von ihrer Kindheit angefangen. Meine Erfahrung war, dass Fotos oft dem Gedächtnis auf die Sprünge halfen. Aber sie trugen auch dazu bei, dass die Kunden ihre Hemmungen verloren, weil sie sich von den Bildern in Ort und Zeit zurückversetzen ließen; ein intensives Wiedererleben der Gerüche, visuellen Eindrücke und Geräusche setzte oft einen ganzen Strom von Erinnerungen in Gang.
    Aber als Scarlett mir einen dünnen Stoß reichte, wusste ich, dass wir damit keine große Ausbeute einbringen würden. Wie die meisten Leute fand ich in meinen Jugendjahren meine Eltern ziemlich doof, fand, sie hätten keine Ahnung, seien von gestern und völlig einfallslos. Aber zumindest hatten sie begriffen, dass man, wenn man ein Kind hat, sich mit ihm beschäftigen sollte. Mein Leben in Bildern wäre ein dickes Bündel Ferienschnappschüsse und Schulfotos gewesen, mit der Kamera festgehaltene Augenblicke, auf die ich stolz war, und eine Chronik der Familienfeste. Die Hochzeit meiner Cousine, die goldene Hochzeit meiner Großeltern, die Taufe meines Neffen. Alle getreulich für die Nachwelt aufbewahrt.
    Für Scarlett war es nicht so gewesen. Was immer ihre Eltern getan hatten, um den Stolz auf ihre Kinder zu zeigen, jeden schönen Moment festzuhalten hatte jedenfalls nicht dazugehört. »Tja, ich sagte ja, da gibt’s nicht viel.« Sie zuckte die Schultern und ließ sich rückwärts auf die Couch fallen, wobei sie die Mundwinkel bedauernd nach unten zog.
    Zuoberst lag, wie vorherzusehen, das Bild im Krankenhaus. Die junge Mutter saß gegen Kissen gestützt, hielt ein Neugeborenes an sich gedrückt und schaute mit einem erschöpften Lächeln in die Kamera. Chrissie Higgins sah eher kaputt aus als strahlend. Sie musste ungefähr im gleichen Alter gewesen sein wie ihre Tochter jetzt, aber das hätte man nie erraten. Ihr Gesicht war aufgedunsen, die Haut sah spröde aus, und unter den Augen waren dunkle Ringe. Dies alles hätte der Zoll sein können, den anstrengende Wehen gefordert hatten, aber wahrscheinlich kam es eher von einem anstrengenden Leben. Ich bemerkte die Ähnlichkeit mit ihrer Tochter.
    »Besonders gut sah ich nicht aus«, sagte Scarlett, ohne auf das Foto zu schauen. »Wie ein hundert Jahre altes Äffchen.«
    Sie lag nicht weit daneben. »Alle Babys sehen so aus«, antwortete ich. »Aber wir sind programmiert, unsere Kinder zu lieben, deshalb bemerken wir es nicht.«
    Scarlett schnaubte. »Programmiert, unsere Kinder zu lieben? Ich glaub nicht, verdammt noch mal! Meine Mum konnte es kaum erwarten, das Krankenhaus zu verlassen, um sich volllaufen zu lassen. Sie war im Pub unten, bevor ich eine Woche alt war.«
    »Hat sie dich mitgenommen?«
    »Manchmal. Meistens hat sie mich bei ihrer Mutter gelassen. Sie war damals schon Alkoholikerin. Und mein Dad war zwischen zwei Gefängnisstrafen grad draußen; sie wollte ihn nicht verlieren, was hieß, sie musste mit ihm ausgehen. Sie wollte nicht, dass irgendeine andere Schlampe ihn sich anlachte und ihr wegnahm.« Wieder diese

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