Der Verrat: Thriller (German Edition)
Finger wurde auf sie gezeigt, sie wurde beschimpft. Ich war noch zu klein damals, um es mitzukriegen, aber glaub mir, das ging jahrelang so. Bis ich es dann verstehen konnte. Die blöden Schwachköpfe meinten, weil er Aids hatte, hätte sie es auch. Und ich und Jade genauso. In der Schule, auf der Straße zeigten die Jungs auf uns und verhöhnten uns. ›Da, das sind die Aids-Sisters‹ und solches Zeug. Wir lernten schon früh, hart im Nehmen zu werden, ich und Jade.«
»Ist er zu Haus gestorben?«
»Nein, Gott sei Dank nicht. Das hätte es noch schlimmer gemacht. Er ist im Gefängnis gestorben. Meine Mum ist total übergeschnappt deshalb, sie hat verlangt, dass er entlassen werden sollte, aus familiären Gründen, aber sie war nicht wirklich mit dem Herzen dabei. Sie kämpft gern einfach um des Kampfes willen. Ihn zu Haus zu haben hätte sie unendlich genervt. Jade und ich hätten uns um ihn kümmern müssen, nicht sie.«
»Aber du warst doch erst sechs. Und Jade war wie alt, acht?«
Scarletts ironisches Lächeln erschien wieder. »Du hast ein sehr behütetes Leben gehabt, oder? Wenn dein Dad ’n Junkie ist und deine Mutter ’ne Säuferin, dann wird man schnell erwachsen. Oder überhaupt nicht. Ich schaute sie mir an und wusste, auf jeden Fall würde ich nie so werden wie sie. Oder so wie Jade wurde.« Sie sah mir fest in die Augen. »Ich bin nicht einfach zufällig in Goldfish Bowl gelandet. Ich hatte einen Plan.« Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht und drückte die Brust heraus, die Parodie einer verführerischen Pose. »Aber das brauchen wir ihnen nicht zu sagen, oder?«
8
I ch weiß nicht, wen von uns beiden Scarletts plötzliches Bekenntnis mehr verblüffte. Aber fast sofort machte sie einen Rückzieher. »Hör dir das an«, lachte sie. »Wie ich mich aufblase. Als hätte ich genug Grips, um weiter vorauszuplanen als bis zum nächsten Fick.«
Aber ich wusste es besser. Ich war sicher, dass ich einen Blick auf etwas erhascht hatte, das nicht zu ihrem öffentlichen Image passte. Doof, aber meint es gut, so sah die Welt Scarlett. Und das war die Geschichte, die nachzuerzählen ich bezahlt wurde. Das konnte ich mit links. Aber es würde viel interessanter werden, wenn es unter der Oberfläche noch eine versteckte Ebene gab. Eine Schicht, die ich in meiner »Autobiographie« nicht verwenden konnte. Aber Autoren verschwenden nie etwas. Scarletts geheimes Gefühlsleben konnte vielleicht als Ausgangspunkt für die erfundene Geschichte dienen, die ich schon immer hatte schreiben wollen.
Den Rest des Tages hielt sie sich so vollständig an ihr Image, dass ich fast glaubte, mich getäuscht zu haben. Aber als ich nach Hause kam und anfing, die Aufnahme unserer Sitzung zu transkribieren, hörte ich, dass hinter Scarletts deprimierendem Bericht der Funke zündete. Ich hatte viel Material über Scarletts frühe Kindheit gesammelt, und vieles würde als Ausschuss enden – was für alle Beteiligten besser war –, wichtiger war aber, dass ich etwas gefunden hatte, das dieses Projekt für mich aufregend machte. Es tat mir nur leid, dass Pete bei der Arbeit war und ich deshalb meine Begeisterung nicht mit ihm teilen konnte. Enttäuscht machte ich mich daran, ihm eine SMS zu schicken. Aber offensichtlich war er zu beschäftigt, um zu antworten. Wenigstens war eine Antwort da, als ich am nächsten Morgen aufstand, endlich um 3:17 Uhr hatte er es geschafft. Natürlich schlief ich da schon fest.
Ich konnte es kaum erwarten, mich wieder mit Scarlett zu treffen. Zwar hatte ich keine Ahnung, was ich aus ihr herauskitzeln würde, aber ich hatte das Gefühl, dass das im Hintergrund Verborgene vielleicht die vordergründige Geschichte selbst beleben und lesenswerter machen könnte.
Als ich diesmal vor der Hazienda anhielt, war in der Garage kein Platz frei. Zu dem Cabrio hatte sich ein aufgebockter schwarzer Golf mit einem kompletten Karosseriebausatz, goldenen Zierleisten und getönten Fensterscheiben gesellt. Das musste Joshus Wagen sein. Jedem anderen wäre es zu peinlich gewesen, sich in diesem fahrbaren Protzobjekt zu zeigen. Daneben stand ein unaufdringlicher, silberfarbener 5er BMW.
Wegen des BMW-Besitzers brauchte ich nicht lange herumzurätseln. Denn als ich die Küche betrat, standen dort Scarlett, Joshu und George in einer Dreiecksposition wie eine Illustration für ein Kinesik-Seminar. Scarlett hatte die Arme entschlossen vor der Brust verschränkt, eine Trotzpose, mit der ich inzwischen nur allzu
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