Der Verrat: Thriller (German Edition)
entschieden. Die vorgelesenen Texte waren aufrichtig berührend, die Musik war nicht von Joshu gemischt oder manipuliert worden, und weil die Trauung am Vormittag stattfand, bevor die meisten Gäste etwas getrunken hatten, blamierte sich niemand in der Öffentlichkeit. Ich war erstaunt; bei den Medien war man enttäuscht.
Am Ende des Abends war der Festsaal des Hotels nicht auseinandergenommen worden, aber die Mehrzahl der Gäste war zu bis obenhin. Einschließlich des Bräutigams. Scarlett saß während der Hochzeitsfeier die meiste Zeit ausgestreckt auf einer Sitzbank, gestützt von einem Kissen im Kreuz. Sie hielt Hof und verteilte gnädig Küsschen an alle, die vorbeikommen und sich mit ihr ablichten lassen wollten. Aber ich sah, dass sie anfing, müde zu werden.
Joshu fand ich an der Bar mit einer Horde seiner Kumpel. Die Krawatte hing ihm lose um den Kragen, sein Jackett hatte er über eine Stuhllehne geworfen, und das Haar klebte ihm schweißnass an der Stirn. Er glich dem Inbegriff liederlicher Ausschweifung. Es war offensichtlich, dass man sich nicht auf ihn verlassen konnte, seine Frau aus den Klauen ihrer Fans zu retten. Ich ließ ihn in Ruhe und fragte mich, ob dies wohl zum Anstoß für den ersten vieler Ehekräche werden könnte. Wenigstens würde er die Hochzeitsreise nicht vermasseln.
Denn es würde keine geben.
Jedenfalls für einige Zeit nicht. Scarletts Schwangerschaft war schon so weit fortgeschritten, dass keine Fluggesellschaft sie als Passagierin akzeptieren würde. Und weder Scarlett noch Joshu konnte sich eine Hochzeitsreise vorstellen, die ohne internationalen Flug auskam. Der Plan war, dass sie zwei ruhige Tage zu Hause verbringen würden. Die Hochzeitsreise musste warten, bis das Baby so groß war, dass es auf die Malediven mitkommen konnte. Joshu wurde also für diesen Teil des Geschehens nicht unbedingt gebraucht.
Meine nächstbeste Alternative war George. Aber ich konnte ihn nirgends finden. Schließlich stieß ich auf Carla, seine Assistentin. Sie bemühte sich in betrunkenem Zustand um ein weniger bekanntes Seifenopernsternchen, riss sich aber lange genug los, um mir zu verraten, dass George schon vor Stunden gegangen sei. Jedoch konnte sie mir Angaben zu dem Fahrdienst machen, der den Auftrag hatte, die Neuvermählten nach Hause zu bringen.
Ich rief den Fahrer an und bat ihn, in fünf Minuten draußen zu warten. Dann schlich ich mich an der Sitzbank entlang an Scarlett heran, neigte den Kopf und murmelte ihr ins Ohr: »Ich glaube, du schläfst gleich ein, ich hab das Auto bestellt.«
Sie drehte sich mir zu und küsste mich auf die Wange. »Ich hab dich lieb, Steph«, antwortete sie. »Komm doch mit. Da mein Mann zu überhaupt nichts zu gebrauchen ist, solltest du bei mir bleiben.«
»Ich hatte eigentlich nicht vor …«
»Ach, komm schon, Steph, heute ist meine Hochzeit, und ich kann mich nicht mal besaufen. Das Mindeste, was du tun kannst, ist, mit nach Haus kommen, und wir amüsieren uns.« Sie machte ein mitleiderregendes Gesicht und wimmerte wie ein kleiner Welpe.
Und so kam es, dass Scarlett sich mit ihrer Ghostwriterin von ihrer eigenen Hochzeitsfeier wegschlich. Wir kicherten die ganze Rückfahrt nach Essex, zogen aufgekratzt über die Hochzeitsgäste her, über ihre Aufmachung und das absonderliche Betragen, das einige an den Tag gelegt hatten. Aber bis wir die Hazienda erreichten, ging Scarlett eindeutig der Schwung aus. Sie schaffte es gerade noch so, aus dem Wagen auszusteigen, und unter dem Licht der Bewegungsmelder sah sie abgespannt und schwach aus. Sie schlang den Arm um meine Taille, um sich abzustützen, und zusammen stolperten wir ins Haus. Ich versuchte, sie gleich ins Bett zu schaffen, aber sie stöhnte nur und ließ sich auf eins der Sofas sinken. »Ich muss dieses verdammte Kleid ausziehen«, klagte sie. »Aber ich hab keinen Bock dazu.«
Ich ging in die Küche, um Tee zu machen. Als ich zurückkam, kroch sie gerade aus dem engen Kleid heraus; dann saß sie halb liegend in einem dünnen Seidenunterrock da, und ihr Bauch drückte sich gespannt wie eine Kesselpauke gegen den Stoff.
»Was für ein Tag«, seufzte sie und hielt die Linke hoch ins Licht, um den dicken Goldring an ihrem Ringfinger zu bewundern. »Mrs. Patel.« Sie kicherte. »Das würde denen in Holbeck gefallen.«
»In Holbeck?«
»Leeds’ Antwort auf Reisen durch das vergessene Amerika. Der Teil von Leeds, wo ich aufgewachsen bin. Wo die Hälfte der Leute asiatischstämmig und die
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