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Der verruchte Spion

Der verruchte Spion

Titel: Der verruchte Spion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Celeste Bradley
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dem Glauben gehst, ich hätte dir Schande gemacht.« Er hielt inne. »Ob du mir glaubst oder nicht: Ich habe es nie getan.«
    Dann saß er eine Weile da, sagte nichts und beobachtete Randolphs Stille. Nathaniel kam es fast so vor, als würde diese leichte Bewegung des Brustkorbs seines Vaters sofort aufhören, wenn er den Blick von ihm nahm.
    Dann hörte sie tatsächlich auf.
    Nathaniel saß da und schaute ihn ungläubig an. Er legte die Hand seines Vaters, die nie wieder warm würde,
auf die Bettdecke und beugte sich vor, um ihn auf die Stirn zu küssen.
    Nathaniel fühlte, wie kühle Pflicht den Platz der Trauer einnahm. Irgendwie war es erleichternd. Jetzt konnte er weiter an seiner Mission arbeiten, konnte Foster finden, aber trotzdem konnte das nicht die schreckliche Gewissheit von ihm nehmen, dass er nie wieder die Stimme seines Vaters hören würde, dass er ihm nie mehr von etwas erzählen konnte, das er getan hatte, und nie mehr sehen würde, wie daraufhin die Augen seines Vaters voller Anerkennung aufleuchteten.
    Die Zimmertür öffnete sich, und Victoria trat ein. Sie war noch für den Ball gekleidet, wie sie alle. Aber ihre Augen waren trocken und ihr Gesicht frei von Schmerz.
    »Hallo, Mutter. Er ist von uns gegangen. Ihr könnt jetzt damit anfangen, vorzugeben zu trauern.«
    Ihre Augen blitzten. »Ich trauere«, giftete sie ihn an. »Ich war dreißig Jahre mit ihm verheiratet!« Sie drehte sich um und schaute den Mann auf dem Bett für einen langen Augenblick schweigend an.
    Als sie sich wieder Nathaniel zuwandte, wirkte sie kalt und gefasst. »Ich würde es begrüßen, wenn du dich heute Abend weiterhin diskret zeigen würdest. Daphne und Basil sind der Höhepunkt der Saison. Es besteht kein Grund, ihnen deswegen den Abend zu vermasseln.«
    Nathaniel nickte. Ein hässlicher Zug lag um seinen Mund. »Natürlich, Mutter. Für Basil tue ich alles.«
    Victoria kniff die Augen zusammen. »Du solltest ihm dankbar sein, dass er so viel Verständnis für dich zeigt. Er hat gesagt, dass du vielleicht die Schande, die du über uns alle gebracht hast, wieder gutmachen könntest.«
    Nathaniel schaute seinen Vater nicht mehr an. Er war ohnehin nicht mehr da. »Warum sollte ich das?«, fragte Nathaniel tonlos. Dann drehte er sich um und verließ den Raum.
Willa wartete vor Randolphs Gemächern. Sie war sich nicht sicher, welche Rolle sie in dieser ganzen Sache einnehmen sollte. Sollte sie hineingehen und Nathaniel und seiner Mutter in ihrer Trauer beistehen?
    Obgleich Victoria nicht gerade kummervoll ausgesehen hatte, als sie grußlos an Willa vorbeigerauscht war. Also hatte sich Willa auf einen der gobelinbezogenen Stühle gesetzt, die in regelmäßigen Abständen die Wände säumten, und gewartet.
    Als die Tür zum Krankenlager aufgestoßen wurde und Nathaniel erschien, sprang sie auf die Füße. »Ist alles …«
    Er rauschte an ihr vorbei, ohne Notiz von ihr zu nehmen.
    »Nathaniel? Nathaniel!«
    Endlich blieb er stehen. »Ich muss jetzt allein sein, Willa.« Er drehte sich noch nicht einmal um, als er das sagte. »Ich werde den Abend in meinem Studierzimmer verbringen.«
    »Oh, ich wollte nur helfen …«
    »Hilf Myrtle. Es gibt nichts, was du für mich tun kannst.« Seine Stimme klang kalt. Dann war er verschwunden. Seine langen Schritte und geballten Fäuste zeigten nur allzu deutlich, dass er seinen Zorn gerade noch unter Kontrolle halten konnte.
    Willa sah ihm mit hängenden Schultern hinterher. Sie wünschte sich nichts sehnlicher, als ihn zu trösten, aber sie hatte sich niemals weniger als seine Frau gefühlt als jetzt.
    »Warum um alles in der Welt hast du ihn bloß geheiratet? Ich weiß, dass du nur die Tochter eines Gelehrten und obendrein auf dem Land aufgewachsen bist, aber du hättest doch sicherlich eine bessere Partie machen können.« Victorias melodiöse Stimme klang spöttisch über ihre Schulter, als sie an Willa vorbeiging. Sie blieb stehen und drehte sich um, als wollte sie den Schmerz, den ihre Bemerkung verursacht hatte, begutachten.

    Es tat überhaupt nicht weh. Was diese Leute von ihr dachten, kümmerte sie nicht im Geringsten. Willa schüttelte den Kopf und schaute Victoria in die Augen. »Ich weiß, dass Ihr kalt seid wie eine Schlange und obendrein auch noch oberflächlich, sicherlich hättet Ihr mehr aus Euch machen können.«
    Dann drehte sie der sprachlosen Victoria den Rücken zu und machte sich auf den Weg zu Myrtle.
     
    Willa schlüpfte leise in Myrtles großzügige Gemächer.

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