Der verruchte Spion
goldener, mit Sahne gefüllter Trinkbecher, und Willa wollte nichts sehnlicher, als sich für den Rest ihres Lebens darin aufzuhalten. Elfenbeinfarbene Vorhänge
fielen vom schweren Messinggestell des riesigen Bettes. Weiche, weizengoldene Teppiche erwarteten ihren Schritt, und die cremefarbene Seide des Bettüberwurfs rief ihr zu, sich darauf niederzulassen, bis die Schmerzen ihrer langen Reise sich legten. Oh, ja.
Bei dem Gedanken wurden ihr die Knie weich, und Willa kämpfte dagegen an, dass ihre müden Augen einfach zufielen. Sie wollte den Blick nicht von dem Paradies wenden, das sie umgab.
Ein Feuer brannte flackernd in einem großen Kamin. Und davor, mitten auf einem marmornen Podest, stand eine kupferne Badewanne, bis zum Rand von fleißigen Dienern mit warmem Wasser gefüllt.
Wie hatten sie das so schnell bewerkstelligt? Sie hatte doch gerade erst ihren Fuß in dieses Haus gesetzt. Sie kannte sich ein bisschen mit Dienerschaft aus. Die Effizienz und Gründlichkeit, die in diesem Haushalt herrschten, offenbarten ihr Nathaniels Reichtum auf eine Weise, wie es keine Anhäufung hübschen Mobiliars je vermocht hätte. Sie vernahm ein leises Schnaufen hinter sich, drehte sich um und erkannte gerade noch die letzten Anzeichen eines abschätzigen Blickes auf Hammils Gesicht. Offenbar glaubte er, sie wagte sich aus Angst, irgendetwas schmutzig zu machen, nicht ins Zimmer.
Zorn machte sich in ihr breit und vertrieb die Müdigkeit aus ihrem Körper. Wie unfreundlich von ihm! Sie war in diesem Haus zu Gast, ungeachtet ihres derzeitigen Aussehens, und ein Gast sollte niemals das Gefühl vermittelt bekommen, weniger wert zu sein. Sie war eine Dame und die Frau eines Gentleman. Es stand ihr zu, als solche behandelt zu werden. Jedem Gast stand das zu.
In diesem Augenblick öffnete eine hübsche junge Zofe ein Fläschchen und schüttete einen Gutteil des Inhalts ins Wasser. Der köstliche Geruch nach Jasmin breitete sich im
Zimmer aus. Willa schloss für einen Moment die Augen und atmete tief ein. Ihr Lieblingsduft.
Sie erkannte, dass sie sich entscheiden musste. Entweder sie klärte das mit Hammil hier an dieser Stelle ein für alle Mal, oder sie stürzte sich Hals über Kopf in dieses göttlich duftende, dampfende Bad.
Es war keine Frage. Willa wählte das Bad.
11. Kapitel
N athaniel schritt durchs Haus, und seine Stiefel machten auf dem Marmorboden laute Geräusche. Im hinteren Teil des Erdgeschosses befand sich ein Raum, der von einer bestimmten Person bevorzugt wurde.
Von dieser Person wollte Nathaniel eine Antwort auf seine Fragen.
Nachdem er ohne anzuklopfen eingetreten war, schloss er die Tür hinter sich. »Also gut, Myrtle. Was zum Teufel geht hier vor?«
Eine ältere Frau schaute von ihrem Buch auf, das sie am Feuer gelesen hatte. Ihr Sessel war groß. Sie war es nicht.
»Thaniel, Liebling!« Sie lächelte glücklich. »Welch eine Überraschung!«
»Myrtle, was macht die Familie noch hier? Ihr alle müsstet längst auf dem Weg aufs Land sein.« Wo er sich ihnen nicht stellen müsste.
»Hast du zur Begrüßung nicht einmal einen Kuss für deine liebe Großtante übrig?«
»Myrtle!«, warnte Nathaniel sie. Er hatte sie gern, und sie war die Einzige seiner Familienangehörigen gewesen, die sich nicht öffentlich von ihm distanziert hatte, aber im Moment war Nathaniel nur voller Ungeduld. Er wandte sich wieder in Richtung Tür.
»Ich wollte unter diesen Umständen nicht herkommen. Obwohl ich froh bin, dass es dir gut geht, wüsste ich doch gerne, warum meinen Anordnungen nicht Folge geleistet wurde.«
Myrtle schaute ihn an. »Du bist hart geworden, Thaniel.«
»Ist das so verwunderlich?«, fragte er heftiger als beabsichtigt.
»Ich wollte nie, dass du uns verlässt.«
»Ich weiß, Liebes. Es tut mir Leid.«
»Oh, Thaniel, es ist einfach furchtbar, seit du fort bist. Victoria kann man nichts recht machen, und Basil ist einfach unmöglich. Und dein Vater …« Sie schüttelte voller Trauer den Kopf.
Nathaniel wollte sie nicht daran erinnern, dass nicht sein Fortgehen ihre Familienbande zerstört hatte, sondern der Grund für sein Fortgehen.
»Danke, dass du mich daran erinnerst. Würdest du jetzt bitte erklären, warum ihr immer noch hier seid?«
»Thaniel, dein Vater«, brachte Myrtle mühsam hervor. »Er liegt im Sterben.«
Es hätte keinen Unterschied machen dürfen. Es hätte Nathaniels Füße nicht am Boden festkleben und ihn davon abhalten dürfen, sie alle nach Reardon House zu jagen.
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