Der verruchte Spion
her. »Ich schlage vor, wir bestrafen jede Zeitung, die dieses Geschmiere druckt. Belegt jedes Blatt mit einer Geldstrafe, falls es die ›Voice‹ bringt, und auch falls es irgendwas von diesem liberalen Propagandisten Underkind druckt.«
Der Falke betrachtete das Deckengewölbe, und der Löwe versuchte noch nicht einmal, sein Grinsen zu unterdrücken. Nathaniel wandte sich an Liverpool. »Die Zeichnungen von Mr Underkind sind im Augenblick unser geringstes Problem, möchte ich meinen. Außerdem glaube ich, dass Etheridge Underkind im Griff hat.«
Ein merkwürdiger Ton entfuhr dem Falken und überraschte Nathaniel. Hatte der Falke gelacht? Unmöglich! Das tat er nie!
Nathaniel fuhr fort: »Was nun das Bußgeldverfahren gegen die Zeitungen angeht, so glaube ich kaum, dass sich diese dem Druck beugen würden. Sie machen einen solchen Gewinn mit jeder Ausgabe, in der sie etwas von der ›Voice‹ drucken, dass es schwierig wird, sie davon abzuhalten.«
Er wandte sich wieder dem Falken und dem Löwen zu. »Nein, mir scheint, wir müssen das Problem von der anderen Seite her angehen. Wenn wir Foster finden …«
»Und Denny«, fügte der Falke hinzu.
»Und Denny«, gab Nathaniel ihm Recht, »dann werden wir auch die Chimäre viel schneller zu fassen kriegen.«
Er schaute die anderen beiden an. Die Worte blieben ungesagt, aber er wusste, dass sie alle sie dachten.
Das hoffen wir.
12. Kapitel
G egenüber von Reardon House, verborgen im Schatten des Grosvenor Park, stand ein Mann und wartete. Er gehörte nicht hierher, deshalb gab er Acht, nicht gesehen zu werden. Aber andere Sorgen wie etwa Hunger, Kälte oder Müdigkeit kümmerten ihn nicht.
Er fühlte allein die Dunkelheit in sich wachsen. Verrat. Rache.
Er drehte und wendete das Wort in seinem Kopf herum, polierte es, bis es wie ein schwarzer Bernstein glänzte.
Er hatte alles verloren. Er konnte nirgendwo hin, hatte kein Leben, das zu leben sich lohnte. Es gab nur noch die perfekte Rache.
Selbstverständlich könnte sich seine Rache gegen verschiedene Personen richten, aber keine von ihnen war dem Arm des Gesetzes entkommen. Außer Reardon, der Verräter. Er hatte nichts verloren. Reardon hatte seinen Rang behalten, sein Vermögen, sein Leben. Und jetzt hatte er auch noch das Mädchen.
Obwohl er ein Lügner und Verräter war.
Und er hatte nichts. Außer der Rache.
Geräusche. Raschelnde, geschäftige Geräusche. Türen wurden geöffnet und geschlossen. Willa kuschelte sich tiefer in ihr behagliches Bett.
Nein.
Ich wache nicht auf. Ich weigere mich.
Schließlich hörte sie, wie Wasser eingegossen wurde. Das
Geräusch hatte eine elektrisierende Wirkung auf ihre Blase. Nun musste sie aufwachen.
Mit einem Ruck warf Willa die Bettdecke zurück und schaute mürrisch in das helle Tageslicht, das durch die Falten ihres Bettvorhangs lugte. Dann stieg ihr der Geruch von feinem Tee in die Nase, wie sie ihn seit Jahren nicht mehr getrunken hatte, und Vergebung für den Eindringling machte sich in ihrem Herzen breit.
»Miss? Wollt Ihr jetzt aufstehen?« Die sanfte Stimme kam von außerhalb des Bettvorhangs auf Willas rechter Seite.
Willa öffnete den Mund, um zu antworten, aber kein Ton kam ihr über die Lippen. Oh. Sie hatte es ganz vergessen. Sie hatte ihre Stimme verloren. Sie rollte sich auf die Seite, um ihren Kopf zwischen den Vorhangbahnen durchzustecken.
Im Zimmer war es sehr hell. Sie blinzelte in das Tageslicht, das im hohen Winkel durch die Fenster fiel. Es musste fast Mittag sein.
Erstaunlich. Seit einem Fieberanfall, bei dem sie nichts anderes tun konnte, hatte sie nicht mehr so lange geschlafen.
»Guten Morgen, Miss. Ich habe hier heißen Tee für Euch, wenn Ihr mögt.«
Willa reckte den Hals und erblickte die hübsche Zofe vom Abend zuvor, die ihr das Bad bereitet hatte. Auf einem Tischchen neben ihr stand ein silbernes Teeservice.
Die junge Frau war etwa so alt wie sie selbst, und ihr aufmunterndes Lächeln ließ die letzte Spur von Willas Morgenmuffeligkeit verschwinden. Sie lächelte ihr zu, nickte und schlüpfte unter die Decke zurück, wobei sie sich im Bett aufsetzte und in die Kissen lehnte. Sie konnte sich noch nie so bedienen lassen. Warum sollte sie es also nicht genießen?
Nachdem sie die Vorhänge rasch zurückgezogen hatte, beugte sich die Zofe über das Tischchen und bereitete Willa eine Tasse dampfenden Tee.
»Mögt Ihr etwas Süße, Miss? Oder Milch?« Sie schien erstaunt, als Willa nur den Kopf schüttelte.
Willa
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