Der verruchte Spion
einem umwerfenden Lächeln und einer erneuten Einladung für Willa und dem Versprechen, bald wieder nach Ren zu schauen. Als sie außer Hörweite des Zimmers waren, griff Simon Nathaniel am Ärmel. »Ich habe hier etwas, das du dir ansehen solltest.« Er zog eine Zeitung aus der Tasche seines Gehrockes. »Feebles hat es mir heute Morgen gebracht.«
Nathaniel schlug sie auf und stöhnte. Die »Voice of Society« war zurück und wusste alles über den Vorfall mit Finster.
Wer ist die mysteriöse Dame, die so vehement Englands verhasstesten Sohn, Lord Treason, verteidigt? Meine Quellen berichten, sie sei nichts weniger als Reardons Besenstiel-Braut vom Lande! Wenn sie nicht weiß, wen sie da geheiratet hat, dann darf man sich fragen, ob sie überhaupt lesen kann. Ob sie sich wohl leicht daran gewöhnt, Schuhe zu tragen?
Zorn brannte in Nathaniel auf. »Schuhe? Dieser selbstgerechte Scheißkerl!«
»Hältst du die ›Voice‹ immer noch nicht für vordringlich,
Kobra?« Simons Lächeln war fast diabolisch. »Er bezeichnete Agatha als das ›Schornsteinfeger-Liebchen‹. Das ist fast genauso schlimm.« Er nahm Nathaniel die Zeitung ab und las noch einmal. »Nein, ich glaube, ich habe doch gewonnen.«
Der Mann, der sich in der schäbigen Kammer versteckte, hielt die Zeitung in vor Wut bebenden Händen.
Reardons Besenstiel-Braut.
Reardon hatte ihn geschlagen. Er hatte das Mädchen und wahrscheinlich auch den Gegenstand. Wie um alles in der Welt war Reardon in die ganze Sache involviert? Er schmeichelte ihr, zeigte sich mit ihr in der Stadt, gab Geld für sie aus.
Reardon wollte, dass er das sah. Wollte ihm zeigen, dass er im Vorteil war, dass er seine Hände auf dem verdammten politischen Gewinn des Jahrzehnts hatte.
Auf welcher Seite Reardon im Augenblick auch stand, er war ein loser Faden, der unter allen Umständen vernäht werden musste.
Sofort.
17. Kapitel
W illa war sehr neugierig darauf, den Bischof zu treffen. Nathaniel sagte nichts auf der Kutschfahrt, aber Willa ließ sich durch seine Schweigsamkeit nicht stören. Der Bischof glaubte, er könnte ihr eine Ehe mit Nathaniel ausreden. Der Mann hatte keine Ahnung, dass er – was Willa betraf – zu spät dran war.
Die hohen Räume der Abtei waren sehr elegant. Nathaniel drückte ihr zum Abschied die Hand. Sie folgte ihrem Begleiter und versuchte, sich nicht zu offensichtlich den Hals zu verdrehen, während ein Novize sie durch die Räume führte. Der junge Mann wartete vor einer großen Tür, klopfte zweimal an und schob dann die schwere Eichentür zur Seite. Sie verschwand in einer Nische in der Wand. Willa bewunderte diese Vorrichtung sofort. Nie mehr quietschende Türangeln – ein Traum!
Dann wurde ihre Aufmerksamkeit von einem mächtigen Schreibtisch eingenommen, der in der Mitte des gro ßen Raumes vor Anker zu liegen schien wie ein Schiff auf einem Meer aus Teppichen. Der Bischof erhob sich, als sie eintrat. Willa ergriff seine ausgestreckte Hand, knickste und küsste seinen Ring. Sie war noch nie zuvor einem Bischof begegnet, aber sie wusste, was sich gehörte.
Der Bischof bot ihr an, ihm gegenüber Platz zu nehmen. Willa setzte sich zögerlich. Es war ein niedriger Stuhl, der ihr das Gefühl gab, winzig zu sein. Auf der anderen Seite des Tisches thronte der Bischof. Um zu verhindern, dass sie noch weiter nach unten sank, setzte sich Willa züchtig auf
die Vorderkante und hielt sich so gerade, wie sie nur konnte. Auf diese Weise war sie fast auf Augenhöhe mit dem Bischof, obgleich sie vermutete, dass sein Stuhl deutlich höher war als ihrer.
Er war ein stämmiger Mann, das konnte sie trotz seiner schweren Roben erkennen. Sein Gesicht war rund und rosig, mit weißem Schnurrbart und Koteletten, und seine Kappe konnte nicht überspielen, dass er mehr Haare im Gesicht als auf dem Kopf trug. Er erschien ihr nicht gütig, aber auch nicht Furcht einflößend, und so erlaubte sich Willa, sich etwas zu entspannen. Aber nicht so sehr, dass sie in den Stuhl sank.
»Miss Trent«, hob der Bischof an. Willa hob sofort die Hand, hoch in die Luft wie ein guter Schüler. Der Bischof hob eine Augenbraue, nickte ihr aber zu, sie möge sprechen.
»Entschuldigt bitte, Exzellenz, ich bin Lady …«
Der Mann unterbrach sie mit einer herrischen Handbewegung. »Das werden wir noch sehen, junge Dame«, sagte er missbilligend. »Ich bitte darum, nicht wieder unterbrochen zu werden.«
Da er ihr selbst gerade ins Wort gefallen war, empfand Willa seine
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