Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der verschlossene Gedanke

Der verschlossene Gedanke

Titel: Der verschlossene Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Salchow
Vom Netzwerk:
Gang. Modeljob bei einem zwielichtigen Fotografen. Wie hängt das alles miteinander zusammen? Wenn er es nicht besser wüsste, würde er tatsächlich glauben, dass sie einfach nur untergetaucht ist. Um dem Ärger mit einem Typen aus dem Weg zu gehen. Um einen dummen Fehler ungeschehen zu machen.
    „ Wollen Sie noch einen Kaffee?“, fragt sie.
    „ Nein, danke.“ Er legt seine Hand über die Tasse. „Ich bin wach genug.“
     
     
    ________
     
     
    Es kommt ihm vor, als wäre er schon öfter hier gewesen, dabei ist es erst das zweite Mal. Und das erste Mal, dass er bewusst hergekommen ist. Noch immer scheint Gefahr in der Luft zu liegen. Ein Gefühl, das er nicht einordnen kann. Auch wenn er sich bei klarem Verstand dazu entschieden hat herzukommen, ist er sich nicht sicher, was genau er hier will. Man hat sie bereits gefunden. Nichts mehr zu holen. Und wenn, dann nicht von ihm.
    Der trockene Sand staubt unter seinen Füßen, als er den Weg entlanggeht. Links und rechts von ihm das fremde und doch vertraute Maisfeld. Wie Mauern umzingelt es ihn und scheint die eine Welt von der anderen abzugrenzen. Wonach sucht er? Warum ist er zurückgekommen?
    Der Besuch bei Kenny Lasner hat ihn ebenso aufgewühlt wie das Treffen mit Tanja Bruckheimer. Ist er einen Schritt vor oder einen zurückgegangen? Hat seine Suche ihm irgendwelche neuen Erkenntnisse gebracht? Erkenntnisse, die über ein Kopfnicken hinausgehen? Und ist die Hoffnung, mit Entschlüsselung der Umstände um Lilianas Tod auch selbst wieder Frieden zu finden, nicht ebenso vergebens wie die Erwartung, bei einem erneuten Aufsuchen dieses Ortes irgendwelche Hinweise zu entdecken?
    Neben einer abzweigenden Traktorspur bleibt er stehen. Er schaut nach rechts. Der Hochsitz. Zum ersten Mal sieht er ihn in einem anderen Licht. Er erinnert sich daran, von dem Ansitz regelrecht angezogen worden zu sein, bis er schließlich inmitten des Feldes über die Leiche stolperte. Dann das Geräusch im Mais, das ihn flüchten ließ.
    Zögernd verlässt er den Weg und bewegt sich in Richtung Hochsitz. Noch bevor er sich ihm nähern kann, drängen sich Bilder in seinen Kopf. Liliana. Dieselbe Position, in der er sie aufgefunden hat. Leblos im Feld. Die blasse Haut. Das von Staub übersäte Gesicht. Gedanken, die sich ihm in den Sinn schieben. Ist es meine Schuld, dass sie tot ist? Hätte ich es verhindern können? Das hämmernde Herz in seiner Brust. Er streift sich mit den Fingern über die Schläfen. Seine Gedanken, seine eigenen Gedanken , die ihm beim Auffinden der Leiche durch den Kopf gegangen waren, sind es, die ihn in diesem Moment heimsuchen. Dieselben Bilder. Wie eine Erinnerung, die so lebendig ist, dass er nach ihr greifen kann. Ist es meine Schuld, dass sie tot ist? Hätte ich es verhindern können? Und wenn es tatsächlich nur Erinnerungen sind, warum überkommen sie ihn auf dieselbe Weise wie die Gedanken des Fremden? Gedanken, die die Fähigkeit haben, den Rest der Welt für einige Sekunden auszublenden?
    Mit einem tiefen Atemzug, der dem Auftauchen aus dem Wasser gleichkommt, schlägt er sich mit der Faust auf die Brust. Nein, möchte er brüllen, doch seine Stimme gehorcht ihm nicht. Umso mehr schreckt er zusammen, als er eine andere Stimme hinter sich hört. Ruckartig dreht er sich um. Kenny Lasner. Die Hände voller Dreck, selbst sein Gesicht ist schmutzig.
    „ Was willst du hier?“, hört er ihn fragen, bevor er sein Auftauchen realisiert hat.
    „ Ich …“, beginnt Oskar.
    „ Hör mal, du Spinner.“ Kenny greift nach dem Kragen von Oskars Hemd. „Ich weiß nicht, warum du deine Nase in Sachen steckst, die dich nichts angehen, aber ich würde dir dringend raten, dich vom Acker zu machen.“
    Er staunt, wie schnell sie beim Du angekommen sind. Woher kommt der Dreck an Kennys Händen, unter seinen Fingernägeln? Von der Erde am Boden des Feldes? Seine schmutzigen Finger hinterlassen dunkle Ränder an Oskars Hemdkragen.
    Er löst sich aus Kennys Griff. „Genauso könnte ich fragen, was du hier willst.“
    „ Ich gehe den Dingen auf den Grund“, antwortet Kenny zynisch.
    „ Genau wie ich.“
    „ Aber warum? Was hast du mit Lilli zu tun? Und komm mir nicht wieder mit deiner Lesung. Das kauf ich dir nicht ab, Alter. Woher kennst du sie?“
    Oskar geht einen Schritt zurück. „Was spielt es für eine Rolle, woher ich sie kenne? Ich will lediglich wissen, wo sie ist. Das ist alles.“
    Er horcht bei seinen eigenen Worten auf. Wo sie ist. Ob Kenny ahnt, dass

Weitere Kostenlose Bücher