Der verschlossene Gedanke
Zettel aus seiner Hemdtasche und schiebt ihn über den Tisch.
„ Halt dich aus Dingen raus, die dich nichts angehen, wenn dir dein Leben lieb ist“, liest sie leise.
„ Eine interessante Botschaft, finden Sie nicht auch?“
Sie faltet den Zettel wieder und schiebt ihn zurück in seine Richtung, während ihr Blick ins Leere schweift. Sie scheint nachzudenken.
„ Wenn dir dein Leben lieb ist“, murmelt sie. „Wer um Himmelswillen sollte Ihnen so eine Botschaft hinterlassen?“
„ Ich habe Kenny getroffen“, antwortet Oskar.
„ Schon wieder? Wo?“
Im selben Moment fällt ihm ein, dass er ihr bisher nichts von dem Maisfeld erzählt hat. Wie soll er ihr erklären, warum er dort war, ohne die Wahrheit zu verraten?
„ Es war mehr oder weniger ein Zufall. Ich war am Rande der Stadt an einem abgelegenen Feld. Dort sammele ich manchmal Ideen für meine Romane oder versuche, den Kopf freizukriegen, wenn ich bei einem Kapitel nicht weiterkomme.“
Lennard winkt die Kellnerin herbei.
„ Und dort habe ich ihn getroffen“, fährt er fort. „Er hat meine Anwesenheit als Herumschnüffeln missverstanden und mir zu verstehen gegeben, dass ich mich aus Dingen heraushalten soll, die mich nichts angehen.“
„ Aber was hatte er dort zu suchen?“
„ Er meinte, dass er früher oft mit Liliana dort war. Keine Ahnung warum.“
„ Verstehe.“
„ Schon ein merkwürdiger Zufall, dass mich dieser Zettel ausgerechnet nach dem Treffen erreicht, oder?“
„ Sie meinen, dass er dahinter steckt?“
Oskar nickt. „Er sprach außerdem von einem Volker. Er scheint zu glauben, dass er mich geschickt hat.“
„ Volker.“ Sie denkt nach.
„ Kennen Sie ihn?“
„ Ich bin mir nicht sicher.“
„ Vielleicht der Anführer dieser Gang, von der Sie gesprochen haben“, sagt Oskar. „Der, mit dem Liliana ein Verhältnis hatte.“
„ Verhältnis wäre sicher das falsche Wort“, antwortet Tanja. „Sie waren fest liiert und sie war damals sehr verliebt in ihn.“
„ In Volker.“
„ Ich habe keine Ahnung, ob sein Namen Volker war.“
„ Dann denken Sie nach.“ Seine Stimme wird energischer. „Es ist wirklich wichtig.“
„ Ich habe keine Ahnung“, antwortet sie. „Ich hielt es nicht für wichtig. Das war lange bevor wir uns kannten, deshalb hab ich es mir nicht gemerkt. Sie hat so viele Namen genannt, wenn sie von damals sprach.“
Eine leicht untersetzte Kellnerin nimmt Lennards Bestellung entgegen. Zwei dunkle Weizen. Die Standardbestellung, wenn sie zu zweit unterwegs sind.
„ Aber verstehen Sie denn nicht, worum es geht, Frau Bruckheimer? Ich werde bedroht.“
Sie streicht sich eine Strähne hinter das Ohr. Ein Griff nach dem Wasserglas, ein kurzer Schluck. Dann stellt sie es wieder auf den Tisch.
„ Vielleicht sollten Sie sich überlegen, wie wichtig es Ihnen ist, weiter nach Lilli zu suchen“, antwortet sie schließlich. „Ich hätte Verständnis dafür, wenn Sie die Sache erstmal auf sich beruhen ließen. Vielleicht finde ich bis dahin einen anderen Weg, nach ihr zu suchen. Einen ungefährlicheren.“
Sie schaut sich um, als müsste sie sich vergewissern, dass niemand anderes das Gespräch mit anhört. Ihr Blick bleibt an Lennard haften, dann wendet sie sich wieder Oskar zu. „Um ehrlich zu sein, habe ich noch immer keine Ahnung, warum Sie sich so sehr für Liliana interessieren. Beinahe könnte man denken, dass Sie ...“
„ Dass ich was?“
„ Na ja. Ein größeres Interesse an ihr haben als nur einfache Neugier aufgrund ihres Verschwindens.“
„ Sie haben mich von alleine aufgesucht, Frau Bruckheimer, nachdem ich Ihr Haus verlassen hatte. Vergessen Sie das bitte nicht.“
„ Weil ich mir Sorgen um Lilli gemacht habe, ja.“
„ Und die machen Sie sich jetzt nicht mehr?“
„ Doch natürlich.“
„ Aber?“
Sie nimmt erneut einen Schluck Wasser. Nach kurzem Zögern antwortet sie. „Was, wenn ich die Nächste bin, die so einen Brief bekommt? Ich bin verheiratet, Herr Holstein. Habe meinen Job in der Schule. Eine Familie, wenn auch keine eigenen Kinder. Das alles ist mir sehr wichtig. Was, wenn uns jemand zusammen sieht und daraus Schlüsse zieht, die auch für mich gefährlich werden könnten? Ich meine, immerhin sind Sie bedroht worden.“
„ Das möchte ich ebenso wenig wie Sie.“
„ Vielleicht haben Sie weniger Einfluss darauf, als Sie glauben.“
Lennard wirft Oskar einen fragenden Blick zu. „Es geht mich sicher nichts an, aber wovon genau sprecht ihr
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