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Der verschlossene Gedanke

Der verschlossene Gedanke

Titel: Der verschlossene Gedanke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Salchow
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reicht ihn Oskar. „Aber was hattest du ausgerechnet in dieser Kneipe zu suchen?“
    „ Warum nicht diese? Ich wollte einfach nur den Kopf freikriegen.“ Er hält sich den Lappen auf die Stirn, um ihn danach direkt wieder auf den Nachtschrank zu legen. „Und Lennard hat mich gefunden, sagst du? Wie kam er überhaupt darauf, nach mir suchen?“
    „ Er hat sich Sorgen gemacht. Und ich dachte, du wärst bei ihm, deshalb habe ich nicht angerufen.“
    Er ordnet seine Gedanken. Lennard. Hat er ihn in sein Auto getragen und nach Hause gebracht? In welchem Zustand hat er ihn aufgefunden? Und wie lange war er allein? Der Gedanke, mehrere Stunden unentdeckt in irgendeiner Gasse gelegen zu haben, erschreckt ihn.
    Sie zieht den Stuhl ein kleines Stück näher an das Bett heran. „Es geht mir nicht ums Trinken an sich, Oskar. Sondern darum, dass es nicht zu dir passt. Wie lange soll das noch so weitergehen?“
    „ Was genau meinst du? Meine Schreibblockade?“
    „ Du weißt, was ich meine. Du bist so, so unberechenbar geworden. Wo finde ich dich als nächstes? Auf einer Müllhalde? Erst der Autounfall, weil du mit den Gedanken woanders warst, dann deine ständigen Ausflüge und jetzt der Sturz in dieser Gasse. Ich meine, das kann doch auf Dauer nicht so bleiben, Oskar. Wohin soll das führen?“
    „ Du machst dir zu viele Sorgen, Gaby.“ Doch die Wahrheit ist, dass er sich selbst noch größere Sorgen macht. Sollte der Schlag eine Art Warnung sein? Oder hatte der Angreifer tatsächlich vor, ihn ins Jenseits zu befördern?
    „ Und diese Frau in deinen Träumen?“
    „ Nur mein Roman, das hab ich dir doch schon gesagt. Ich denke selbst im Schlaf daran.“ Er lächelt. „Die Besessenheit eines Autors. Ich habe gehört, je älter man wird, desto schlimmer wird es.“
    „ Ich wünschte, ich könnte dir glauben.“
    „ Aber warum solltest du es nicht können?“
    „ Ich möchte doch nur, dass es so wird wie früher, Oskar.“ Sie greift nach seiner Hand. „Du hinter deinem Schreibtisch, ich im Garten. Hin und wieder eine nette Begegnung in der Mitte des Hauses. Und am Wochenende unsere Spaziergänge. Ein nettes Abendessen in der Stadt. Ein Ausflug ans Meer.“
    „ Wir fahren ans Meer. Sobald ich das Manuskript fertig habe.“
    „ Das Manuskript“, wiederholt sie. „Manchmal glaube ich, dass es uns nur Unglück bringt.“
    „ Das ist doch lächerlich, Gaby. Es ist ein Roman, nichts weiter.“
    Sie wendet sich dem Fenster zu. Die Sonne scheint bereits ihre Mittagsposition erreicht zu haben. Ihr Blick wandert ins Weite.
    „ Wenn du ihn nur endlich fertig gestellt hast“, sagt sie.

Kapitel 9: Brotkrumen
     
     
    Die Oberfläche des Wassers glitzert. Ein Steg, der in der Mitte des Sees in einem Entenhaus mündet. Ein leichter Nieselregen weicht den Boden unter seinen Füßen auf, während er den schmalen Weg zwischen den hohen Baumstämmen in Richtung See verlässt.
    Er hat aufgehört, sich zu fragen, wie er an bestimmte Orte gelangt ist. In der friedlichen Idylle des Parks, der dank des Regens so gut wie unbesucht ist, spürt er für einen kurzen Moment sogar Dankbarkeit für ein wenig Stille. Ruhe. Zum ersten Mal seit Tagen. Niemand, der Fragen stellt. Nicht mal er selbst.
    Unter der Bank im Schatten einer riesigen Eiche sieht er sie sitzen. Eine Frau, Mitte Achtzig, vielleicht auch älter, mit eingefallenen Schultern und einem dunkelblauen Tuch, das sie um das graue Haar gebunden hat. Sie wirft Brotkrumen auf den Boden, euphorisch umgarnt von einem halben Dutzend lauthals schnatternder Enten.
    Er setzt sich neben sie.
    „ Hallo“, sagt er.
    Sie holt erneut eine Handvoll Krumen aus ihrer Papiertüte und wirft sie den Enten zu, ohne auf seine Begrüßung zu reagieren.
    Auch gut. Eigentlich hat er gar keine Lust zu reden.
    „ Enten sind so dankbare Wesen“, sagt sie nach einer Weile. „Ich bin jeden Tag hier. Meine gefiederten Freunde kennen mich schon.“
    „ Leider habe ich kein Brot zum Füttern dabei“, sagt er.
    „ Das macht nichts. Ich habe genug.“
    Sein Blick fällt auf einen weißen Jutebeutel neben der Bank. Sie scheint gut vorbereitet zu sein.
    Er lehnt sich zurück und beobachtet die fleißigen Schnabel nach dem Brot schnappen. Tatsächlich scheinen sie äußerst dankbar zu sein. Das Auffangen der ersehnten Brotkrumen ist eher Feier als pure Nahrungsaufnahme. Wie einfach das Leben sein kann, wenn man es auf das Wesentliche reduziert.
    „ Es setzt sich selten jemand auf diese Bank“, sagt sie.

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