Der verschlossene Gedanke
Liebesgeschichte das zentrale Thema sein?“
„ Natürlich.“
Liebesgeschichten als zentrales Thema. War nicht genau solch eine Liebesgeschichte der Grund für Liliana, sterben zu müssen? Weil sie Erwartungen nicht erfüllen konnte? Oder weil ihre Erwartungen nicht erfüllt wurden?
„ Man munkelt, dass es für Ihren Debütroman Der lange Weg zum See bereits ein Drehbuch gibt. Stimmt es, dass es eine Verfilmung geben wird?“
„ Ja, tatsächlich. Zachary Thomas höchstpersönlich steckt hinter dem Projekt und ich bin sehr stolz, dass mein Buch die Grundlage eines wirklich gelungenen Drehbuchs ist.“
„ Ein Drehbuch, das Sie aber nicht selbst geschrieben haben.“
„ Nein. Damit hätte ich Bereiche betreten, die ich lieber den Profis auf diesem Gebiet überlasse. Umso gespannter bin ich nun auf das Ergebnis.“
„ Ist Ihnen denn bereits bekannt, wer die Rolle von Lilli übernehmen wird?“
„ Lilli?“ Von einen Moment auf den anderen verliert Oskar den Faden.
„ Ich sagte Ulli.“
„ Ulli. Ja richtig.“ Er versucht, sich zu sammeln. Was für ein peinlicher Irrtum. Aber sicher wird dieser Fauxpas nicht in der Endfassung des Interviews zu lesen sein.
„ Bisher stehen noch keine Schauspieler fest“, fährt er schließlich fort. „Die Castings beginnen, soweit ich weiß, erst in wenigen Wochen.“
Der Mann macht sich Notizen auf einem kleinen Block. Oskar starrt auf das Diktiergerät, ohne es wirklich zu sehen.
„ Gibt es für die Protagonisten Ihrer Romane eigentlich reale Vorlagen aus Ihrem privaten Umfeld?“
„ Selten. Und wenn, dann meistens unbewusst. Man lässt ja instinktiv eigene Erfahrungen mit seinen Mitmenschen in die Handlung eines Romans einfließen, aber eine real existierende Person als Vorlage gab es bisher nicht.“
„ Aber was nicht ist ...“
„ Kann vermutlich werden. Sie haben recht. Man weiß nie.“ Er müht sich ein Lächeln ab.
„ Könnten Sie sich vorstellen, auch mal das Genre zu wechseln? Ein Thriller vielleicht oder ein Krimi?“
„ Warum nicht? Bisher hat sich diese Frage nie gestellt, weil stets genügend Stoff für neue Geschichten vorhanden war. Aber es kann durchaus sein, dass ich in naher Zukunft auch mal neue Bereiche betreten werde.“
„ Unter dem Namen Oskar Holstein?“
„ Möglicherweise dann auch unter Pseudonym. Vielleicht kann es sogar passieren, dass Sie ein Buch von mir in den Händen halten, ohne es zu wissen.“
Der namenlose Mann lacht. „Ihren Stil würde ich unter Tausenden wieder erkennen. Und nicht nur ich.“
„ Sie wären überrascht, wie sehr sich auch mein Stil ändern kann, wenn ich es möchte.“
„ Eine Frage, die mich noch interessieren würde, Herr Holstein. Wie gut gelingt es Ihnen, sich im Alltag von der Welt in Ihren Romanen zu distanzieren, vor allem, wenn Sie gerade an einem Manuskript arbeiten? Bleiben Ihre Protagonisten in Ihrem Laptop oder Notizblock, wenn Sie Ihr Büro verlassen oder nehmen Sie sie mit?“
Für einen kurzen Moment fühlt er sich wie unter einem Mikroskop.
„ Meine Protagonisten leben in ihrer eigenen Welt, die ich nur betrete, wenn ich schreibe“, antwortet er. „Im Alltag spielen sie keine Rolle.“
„ Bewundernswert. Ich glaube, nicht jeder Autor kann diese Trennung konsequent vornehmen.“
„ Als wirklich guter Autor sollte man das können. Es ist sozusagen überlebenswichtig.“
________
Das Geschirrtuch hängt über seinem fleischigen Arm wie bei ihrer ersten Begegnung. Keine Regung in seiner Miene. Keine Reaktion auf sein Erscheinen.
„ Wirst nun wohl langsam zum Stammgast, was?“, brummt er, als Oskar sich an den Tresen setzt.
„ Sieht ganz so aus“, antwortet Oskar. „Ein dunkles Weizen bitte.“
Er ist sich nicht sicher, warum er hergekommen ist. Weder Barneys Schmallippigkeit noch die besondere Aura des Ortes versprechen ihm neue Erkenntnisse. Er ist hier, um zu warten. Um zu trinken, während er wartet. Um sich das Denken abzugewöhnen, während er trinkt und wartet.
Barney schiebt ihm das Glas entgegen. Oskar nimmt einen tiefen Zug, ohne abzusetzen. Mit jedem Schluck scheint er eine Gleichgültigkeit aufzusaugen, die wohltuender ist als jeder Gedanke.
„ Du hast doch neulich nach Kenny gefragt“, sagt Barney, während er ein paar Tropfen Bier vom Tresen wischt.
Oskar stellt das halbleere Glas ab. „Ja.“
„ Er war hier.“
„ Tatsächlich?“
„ Konnte mir auch nicht sagen, wo Lilli steckt und ob sie noch mal ne Schicht
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