Der verschlossene Gedanke
überzeugt, nie einem kleineren Interviewpartner gegenübergesessen zu haben. Der Mitarbeiter des Büchermagazins am anderen Ende des Tisches ist ganze zwei Köpfe kleiner als er.
„ Danke für das Lob. Aber warten Sie lieber das Ende des Interviews ab, bevor Sie sich eine Meinung bilden.“
Oskar legt die Hände in den Schoß. Er ist seltsam verlegen. Das letzte Interview, das er gegeben hat, ist beinahe drei Monate her.
„ Nein, wirklich“, antwortet der Mann, dessen Namen Oskar bereits nach der Begrüßung wieder vergessen hat. „Ich fühle mich wirklich geehrt, dieses Interview mit Ihnen führen zu dürfen. Als Mann muss man ja immer vorsichtig mit Geständnissen dieser Art sein, aber ich habe jedes Ihrer Bücher gelesen.“
Oskar lacht. „Sie meinen, weil man als Mann das Klischee bedienen muss, nur Thriller, Krimis und gesellschaftskritische Lektüre zu lesen?“
„ Zumindest gehören wir Männer nicht unbedingt zur ersten Zielgruppe von Liebesromanen.“
„ Vermutlich haben Sie recht.“ Oskar füllt sein Wasserglas nach. „Führen wir eigentlich bereits das Interview?“
„ Noch nicht. Das Diktiergerät ist noch ausgeschaltet.“
„ Von mir aus kann es losgehen.“
Die Nervosität seines Gegenübers schmälert das eigene Unbehagen kaum. Ist er überhaupt imstande, aussagekräftige Antworten zu geben? Ein Interview zu führen, das seine Ansichten, seine Persönlichkeit widerspiegelt? Und wie viel von seiner Persönlichkeit ist übrig, auf die er zurückgreifen kann? Er hat das Gefühl, zur Imitation seiner selbst geworden zu sein. Zwischen Mauern zu stehen, die keine Türen haben. Keine Fenster. Keine Luft zum Atmen.
Der namenlose Mann stellt das Diktiergerät in die Mitte des Tisches und drückt auf die Aufnahmetaste. Ein kurzes Nicken.
„ Herr Holstein. Sie sind gerade erst wieder, nebenbei bemerkt zum dritten Mal in Folge, zum erfolgreichsten Liebesromanautor unseres Magazins gewählt worden. Ihr letzter Roman Das Lächeln im Regen hat die Bestsellerlisten ganze 24 Wochen angeführt. Auch ihre zwei anderen Werke wurden von den Kritikern in den höchsten Tönen gelobt. Ihre Fans und treuen Leser fiebern bereits jetzt ihrem vierten Buch entgegen. Eine Frage, die sich geradezu aufdrängt: Hat es ein Bestsellerautor wie Sie überhaupt noch nötig, weiter zu schreiben?“
„ Ich habe es vor allem deswegen nötig, weil ich schreiben muss. Weil es zu viele Geschichten gibt, die heraus wollen. Die heraus müssen .“ Er lächelt. „Und weil ich auch gar nichts anderes könnte.“
„ Ist Ihre Art, die Arbeit an einem Manuskript zu beginnen, auch heute noch mit Ihren Anfängen als Nachwuchsautor vergleichbar?“
„ Nein. Ich würde es eher als unentspannter beschreiben.“
„ Unentspannter? Aber gibt einem die Bestätigung seiner Leserschaft nicht eine gewisse, nun ja, Gelassenheit?“
„ Eher im Gegenteil. Erfolg bringt auch immer Druck mit sich.“
„ Der Erfolgsdruck scheint Ihrem Ideenreichtum dennoch nicht zu schaden.“
„ Viel mehr geht es um die Umsetzung als um die Idee an sich. Je mehr Aufmerksamkeit mir die Außenwelt schenkt, umso mehr Aufmerksamkeit schenke ich auch meinen Werken. Und das ist nicht immer von Vorteil.“
„ Das müssen Sie erklären.“
„ Na ja. Ich schreibe weniger aus dem Gefühl heraus, sondern denke über meine Geschichten nach. So besteht mitunter die Gefahr, dass sie auf kalkuliertere Art und Weise entstehen.“
„ Und das wäre etwas Schlechtes? Jeder Roman entspringt doch schließlich einem gewissen Konzept.“
„ Meine Exposés sind eher löchrig. Konkrete Pläne im Vorfeld nehmen mir die Luft zum Atmen, wenn ich schreibe. Daher verlasse ich mich grundsätzlich auf mein Bauchgefühl. Dieses zwischen all den Leserstimmen und Meinungen zum Buch noch zu hören, ist jedoch nicht immer einfach. Im Grunde ist das Schreiben tatsächlich entspannter, wenn niemand etwas von einem erwartet.“
Er kennt den Blick, der grundsätzlich auf Erklärungen zum Thema Erfolgsdruck folgt. Bestsellerautoren, die sich auch noch beschweren, weil sie Fans haben. Lediglich ein Vorurteil, das sich seinem Interviewpartner aufdrängt, während die Grundaussage der Botschaft auf der Strecke bleibt.
„ Möchten Sie uns etwas über Ihr aktuelles Buchprojekt erzählen?“
„ Dass ich keine Details preisgeben kann und möchte, verstehen Sie sicher. Aber ich kann Ihnen verraten, dass es im nächsten Frühjahr erscheinen wird.“
„Aber es wird wieder eine
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