Der verschlossene Gedanke
nicht gegeben. Da gab es am Freitagabend Tanz auf dem Dorf. Da haben die Männer den Frauen noch den Hof gemacht. Und die Mädchen wussten es zu schätzen. Da hielt man sich noch zurück, wissen Sie.“
„ Es ist einfach eine andere Zeit heutzutage und Lilli hat sich sicher einfach nur angepasst.“
„ Eine andere Zeit, eine andere Zeit. Das hört man überall. Wenn man den Fernseher einschaltet, wenn man Radio hört. Überall nur Wörter, die niemand versteht. Gewalt und Krieg. Die Menschen zerstören sich selbst und keiner bekommt es mit.“
Er lächelt aufmunternd. „Ich bin mir sicher, es wird auch wieder bessere Zeiten geben.“
„ Eher schlimmere“, antwortet sie. „Aber die werde ich Gott sei Dank nicht mehr erleben.“
„ Peter fehlt“, entfährt es ihr plötzlich bei einem Blick in die Entenschar.
„ Peter?“
„ Ja. Er ist schon am längsten von allen Enten dabei. Aber ich kann ihn nicht entdecken. Um Himmelswillen, Peter. Warum ist es mir nicht gleich aufgefallen?“
„ Ich bin mir sicher, es geht ihm gut.“
„ Aber er würde meinen Besuch niemals verpassen.“ Ihre Stimme nimmt etwas Weinerliches an. „Bitte schauen Sie im Entenhaus nach.“
Er hält es für lächerlich, kann es jedoch nicht übers Herz bringen, ihren Wunsch abzuschlagen. Langsam erhebt er sich von der Bank, geht auf den See zu und betritt mit vorsichtigen Schritten den Steg.
Schon als er näher kommt, kann er erkennen, dass das Entenhaus leer ist. Wo auch immer Peter ist, hier wird er ihn nicht finden.
„ Können Sie ihn sehen?“, ruft sie von weitem.
„ Ganz deutlich“, antwortet er. „Er schläft nur.“
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„ Herr Holstein.“
„ Es ist schön, dass Sie so schnell zurückrufen, Frau Bruckheimer.“
„ Meine Sekretärin hat mir schon heute Morgen von Ihrem Anruf erzählt, aber ich war im Unterricht und bis eben in einer Lehrerkonferenz.“
„ Hauptsache, wir können jetzt reden.“
„ Ist etwas passiert?“
„ Erinnern Sie sich an die Kneipe, in der wir uns neulich getroffen haben?“
„ Ja, natürlich.“
„ Ich war noch einmal dort.“
„ Aber warum?“
„ Ich hatte ein Interview in der Nähe und wollte nur kurz ein Bier nehmen.“
„ Und dann?“
„ Dann wurden aus dem einen Bier anscheinend ein paar mehr. Vielleicht auch etwas anderes. Fakt ist, dass ich am nächsten Morgen mit einer riesigen Beule am Hinterkopf aufgewacht bin.“
„ Haben Sie sich gestoßen?“
„ Jemand ist mir gefolgt, Frau Bruckheimer. Und dieser jemand hat mich niedergeschlagen.“
„ Aber das wäre ja …“
„ Sehr beängstigend, ja.“
„ Meinen Sie, dass es etwas mit Lilli zu tun hat?“
„ Da bin ich mir sogar sicher.“
„ Sehen Sie, ich habe Ihnen doch gesagt, dass es vernünftiger wäre, wenn Sie sich da raushalten. Am Ende kostet es Sie noch das Leben.“
„ Das kann ich mir nicht vorstellen. Wenn derjenige mich hätte töten wollen, dann hätte er es auch getan.“
„ Sind Sie sich sicher?“
„ Ich nehme an, dass es eine Art Warnung war.“
„ Haben Sie irgendwen in der Kneipe gesehen? Irgendjemanden, der sich auffällig verhalten hat? Oder hat der Besitzer etwas von Lilli erzählt?“
„ Er weiß nichts. Wie immer. Im Grunde war mein Besuch dort überflüssig. Aber was hätte ich sonst tun sollen? Ich fand einfach, dass ich etwas unternehmen musste. Dass ich handeln musste.“
„ Langsam wird es gefährlich, Herr Holstein.“
„ Vielleicht wäre es tatsächlich an der Zeit, die Polizei einzuschalten.“
„ Ich glaube, dass das überflüssig ist.“
„ Inwiefern?“
„ Ich habe gestern Abend eine Email von Lilli bekommen.“
„ Sie wollen mich auf den Arm nehmen.“
„ Warum sollte ich?“
„ Kennen Sie die Email-Adresse?“
„ Nein.“
„ Dann könnte es ebenso auch ein Fake sein.“
„ Warum sollte mir jemand eine Email schreiben und mich in dem Glauben lassen, dass sie von Lilli ist?“
„ Damit sie aufhören, nach ihr zu suchen.“
„ Aber wer sollte denn wissen, dass ich nach ihr suche?“
„ Vielleicht vermutet es jemand, weil er weiß, dass Sie Lilli kennen. Oder aber er will einfach nur auf Nummer sicher gehen. Deshalb auch per Email. Über eine Email-Adresse, die Sie nicht kennen.“
„ Ich kenne die Email-Adresse deshalb nicht, weil Lilli und ich uns nie zuvor Emails geschrieben haben. Und meine Email-Adresse kann sie sich jederzeit von der Schulwebsite geholt haben.“
„ Oder derjenige, der Ihnen in ihrem
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