Der verwaiste Thron 02 - Verrat
fast. »Nicht anhalten!«
Der Kutscher ließ die Zügel knallen. Die Schriftrolle rutschte zu Boden. Craymorus' Krücken klapperten, seine Beine pochten dumpf. Er zog die Lederriemen der Metallschienen fest. Die Kutsche war so schmal, dass er sich mit beiden Händen an den Seitenwänden abstützen konnte.
Garrsy tauchte neben dem Fenster auf. »Was ist los?«, rief Craymorus ihm zu.
Im ersten Moment schien es, als wolle der Leutnant ihn ignorieren, dann drehte er ihm doch das Gesicht zu.
»Ein Wegelagerer, mein Fürst. Kein Grund zur Sorge. Meine Männer …«
Gebrüll unterbrach ihn. Garrsy zügelte sein Pferd. Craymorus sah Gesichter zwischen den Bäumen auftauchen, dann war die Kutsche auch schon an ihnen vorbei.
Craymorus zog sich an das Fenster heran und sah nach hinten. Garrsy hatte das Schwert gezogen und schlug auf zerlumpte Gestalten ein. Craymorus bemerkte, dass sie die verblichenen Farben Westfalls trugen. Ein Mann lag bereits am Boden.
»Dreh um!«, schrie Craymorus dem Kutscher zu. »Hilf deinem Herrn!«
Die Kutsche fuhr weiter. Craymorus drehte den Kopf, sah zum Kutschbock hinauf. Tropfen benetzten sein Gesicht, so als habe es zu nieseln begonnen. Sie schmeckten salzig.
Er schob sich weiter aus dem Fenster. Der dunkle Umhang des Kutschers blähte sich auf wie die Flügel eines Raben. Eine Axt steckte in seinem Rücken und heftete den Stoff an. Eine zweite steckte in seinem Hinterkopf. Blut lief über seine Haare und sammelte sich als Tropfen in seinen Haarspitzen. Der Fahrtwind trug sie Craymorus entgegen. Er wischte sich mit der Hand über das Gesicht und wischte das Blut ab.
Der Kutscher war tot, die Kutsche wurde langsamer. Hinter Craymorus wieherte ein Pferd. Er warf einen Blick zurück.
Die beiden Soldaten, die den Wegelagerer verfolgt hatten, sprengten aus dem Dickicht hinein in den Kampf und versuchten die Angreifer mit den massigen Pferdekörpern umzuwerfen und niederzureiten. Doch die Männer wichen ihnen immer wieder aus. Mit Kurzschwertern und Messern stachen sie nach Pferdebäuchen und Sattelgurten.
Eines der Tiere blutete am Hals. Ein abgetrennter Zügel lag im Staub. Noch saßen die Soldaten auf ihren Pferden, aber die Angreifer – Craymorus zählte sieben – wurden mit jedem Hieb und jedem Stich dreister.
Die Kutsche blieb stehen. Craymorus drehte den Kopf. Der tote Soldat saß beinahe aufrecht auf dem Kutschbock. Das Gewicht der Axt zog seinen Kopf nach hinten und ließ ihn mit geöffnetem Mund und aufgerissenen Augen in den Himmel starren. Seine Hände, die immer noch die schlaffen Zügel festhielten, lagen auf den Oberschenkeln.
Ein Mann schrie, ein anderer brüllte voller Triumph.
Craymorus sah sich um. Der ältere Soldat, dessen Namen er nicht kannte, war vom Pferd gerissen worden und lag am Boden. Zwei Männer hockten über ihm und hackten mit Schwertern auf ihn ein. Er bewegte sich nicht. Garrsy und der andere Soldat wurden von fünf anderen Männern ins Unterholz gedrängt. Ihre Pferde stiegen auf und wieherten. Die Soldaten konnten sich kaum im Sattel halten.
Die beiden, die über dem Soldaten gehockt hatten, standen auf. Ihre Kleidung war blutverschmiert wie die Schürzen von Schlachtern. Sie sahen zur Kutsche. Der eine stieß den anderen an. Dann liefen sie los.
»Flieht, mein Fürst!«, rief Garrsy.
Craymorus' Mund wurde trocken. »Hey!«, schrie er den Pferden zu. »Los!«
Sie rührten sich nicht. Er tastete nach einer Krücke und schob sie durch das Fenster, lehnte sich so weit vor, wie er konnte. Der Holzrahmen drückte gegen seine Hüften. Seine Beine, die von den Metallschienen gehalten wurden, hingen fast waagerecht in der Luft.
Er streckte die Arme aus und schrie die Pferde an. Mit der Spitze der Krücke hieb er gegen den Kutschbock. Eines der beiden Tiere schlug mit dem Schwanz, so als wolle es eine Fliege verscheuchen. Craymorus beugte sich noch weiter vor und stieß mit der Krücke nach ihm. Die Spitze berührte die Deichsel, mehr jedoch nicht. Aus den Augenwinkeln sah er die Männer näher kommen. Sie trugen zerrissene Uniformen und wirkten verwahrlost.
Deserteure , dachte er.
Angst krampfte seinen Magen zusammen. Mit der Krücke in der Hand ließ er sich zurück in die Kutsche fallen. Er schrie auf, als seine Beine auf die Kante der Sitzbank schlugen. Er griff nach der zweiten Krücke. In Gedanken stieß er bereits die Tür auf, zog sich bis zur Deichsel und entriss dem toten Kutscher die Zügel. Besser von den Pferden zu Tode geschleift zu
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