Der verwaiste Thron 02 - Verrat
Erkenntnis.
Fünf Soldaten begleiteten ihn auf seiner Reise, Leutnant Garrsy und vier Palastwachen. Sie trugen dunkle Umhänge, unter denen ihre Schwerter hervorstachen, und Lederrüstungen ohne Wappen. Man hätte sie für Söldner halten können, die einen reichen Händler beschützten. Einer von ihnen saß auf dem Kutschbock, die anderen ritten auf Pferden.
Craymorus atmete auf, als das Rumpeln der Kutsche nachließ. Sie hatten die Stadt mit ihren Gassen aus Kopfsteinpflaster verlassen. Die Räder rollten über eine staubige Straße, die durch die Hügel und vorbei an Bauernhöfen und Weizenfeldern führte. Vögel sangen in den Bäumen. Ein Hahn krähte weit entfernt.
Craymorus zog den Vorhang zurück und ließ die Landschaft an sich vorbeiziehen. Er sah eine Bäuerin, die Kleidung an einem Bach wusch, und einen kleinen Jungen, der über ihr in einer Astgabel saß und mit den Füßen baumelte. Alles wirkte friedlich, so als wären die Nachtschatten nur ein Alptraum, der mit dem Tageslicht verweht war.
Garrsy lenkte sein Pferd an die Kutsche heran und neigte den Kopf. »Mein Fürst«, sagte er. »Wir haben die Stadt nach Westen verlassen, so wie Ihr befohlen habt. Bald werden wir eine Kreuzung erreichen. Welchen Weg sollen wir dort einschlagen?«
Craymorus hatte niemandem gesagt, wohin die Reise führen würde. Selbst Mellie kannte das Ziel nicht. Er wusste selbst nicht genau, weshalb er auf ihre Fragen geschwiegen hatte. Vielleicht fürchtete er ebenso sehr wie Syrah, sein Gesicht zu verlieren.
Er räusperte sich. »Kennt Ihr den Weg zur Stadt der Magier, Leutnant?«
»Ja, mein Fürst.«
»Dann führt uns dorthin.«
»Ja, Herr.«
Craymorus griff nach einer der Schriftrollen, die neben ihm auf der gepolsterten Sitzbank lagen. Er hatte sie mitgenommen, um die Reise zu verkürzen. Er begann die Lederriemen zu öffnen, mit denen sie verschnürt waren, bemerkte dann jedoch, dass Garrsy immer noch neben der Kutsche ritt.
Er sah ihn an.
»Habt Ihr noch eine Frage, Leutnant?«
Garrsy fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Die Lederhandschuhe, die er trug und die seine Arme bis zu den Ellenbogen bedeckten, knarrten bei jeder Bewegung. Sie sahen neu aus, so wie der Rest seiner Rüstung.
»Herr«, sagte er. »Wenn es nicht allzu vermessen ist, würde ich gern wissen, wie es von dort aus weitergeht und was unser Ziel ist.«
Craymorus ließ die Schriftrolle sinken. »Die Stadt der Magier ist unser Ziel.«
Garrsy öffnete den Mund, als wolle er etwas sagen, schloss ihn aber sofort wieder. Gefühle glitten wie Schatten über sein Gesicht. Enttäuschung, Verwirrung, sogar Ärger. Er war jung, jünger noch als Rickard, und er hatte wahrscheinlich sein Schicksal verflucht, als die Armeen Westfalls ohne ihn in den Krieg gezogen waren. Craymorus glaubte ihn zu verstehen.
»Die Stadt der Magier ist weit wichtiger, als Ihr denkt«, sagte Craymorus, auch wenn er wusste, dass Garrsy keine Erklärung zustand. »Wartet ab.«
»Ja, Herr.«
Garrsy ritt zurück an die Spitze des Trupps. Craymorus beobachtete, wie er sich mit einem der anderen Soldaten unterhielt. Nach einem Moment schüttelte der andere Soldat den Kopf und lachte. Einzelne Worte ihrer Unterhaltung wehten Craymorus entgegen. Hügel und Schande .
Natürlich , dachte er, während er den Vorhang zuzog. Der Krähenhügel. Das ist alles, woran sie denken.
Er griff nach der Schriftrolle, breitete sie auf seinen Knien aus und begann zu lesen. Nach nur wenigen Zeilen legte er sie wieder beiseite. In der abgedunkelten Kutsche waren die Symbole kaum zu erkennen. Öffnen wollte er den Vorhang jedoch auch nicht. Er ahnte, was er in den Blicken der Soldaten sehen würde.
Fünfzehn Jahre waren seit der Schlacht um den Krähenhügel, dem Tag der Schande, vergangen. Doch niemand hatte vergessen, was damals geschehen war. Sein eigener Name verband ihn untrennbar damit, so wie der Name eines jeden Magiers.
Er lehnte den Kopf an die Polster in seinem Rücken und lauschte auf die Geräusche der Kutsche. Gefangen in ihrem Halbdunkel konnte er seinen eigenen Zweifeln nicht entfliehen. Hatte er tatsächlich gesehen, was er zu sehen geglaubt hatte, oder war er nur auf den Trick eines geschickten Gauklers hereingefallen? Er war sich sicher gewesen, doch nun war er es nicht mehr. Wenn er sich irrte, würde bald ganz Westfall über ihn lachen. Soldaten redeten viel und gern. Unser neuer Fürst , würden sie sagen, ein Krüppel und ein Narr.
Die vier Tage, die zwischen ihm und
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