Der verwaiste Thron 02 - Verrat
gewusst, dass Milus und Craymorus Vater und Sohn waren, wäre ihm das nicht aufgefallen. Sie gingen miteinander um wie Fremde, Milus überheblich, fast schon unverschämt, Craymorus respektvoll und nervös. Doch Jonan sah alte, längst verhärtete Wut in seinen angespannten Schultern. Er fragte sich, was wohl geschehen würde, wenn diese Wut eines Tages durchbrach.
Er sah zu Adelus, dem Bruder des Fürsten. Er versuchte seinen Vater nachzuahmen, aber ihm fehlte die Härte. Vielleicht würde sie ihm immer fehlen. In den heimlichen Blicken, mit denen er seinen Bruder gelegentlich musterte, lag Neugier.
»Ist die Magie stark genug, um als Waffe gegen die Nachtschatten zu dienen?«, fragte der Fürst.
»Ja.« Milus antwortete, ohne zu zögern. »Sie wird stärker werden, je näher wir dem Fluss kommen. So war es immer schon. Der Fluss wird uns tragen.«
Es klang fast wie ein Gebet.
Die Beine des Fürsten zuckten. Er legte die Hände auf die Knie. Falten gruben sich in seine Mundwinkel. Er hatte Schmerzen.
»Beweise es«, forderte er.
Milus hob die Augenbrauen. Er sah die anderen Magier an. Sie nickten. »Wenn er es möchte, soll er es sehen«, sagte eine der beiden Frauen. »Er ist der Fürst. Das ist sein Recht.«
Milus zögerte, dann aber neigte auch er den Kopf. »Wir werden es dir zeigen, aber …« Er hob den Zeigefinger, so wie es Jonans Klingenlehrer immer vor einer wichtigen Lektion getan hatte. »Aber wenn du mit dem, was du siehst, zufrieden bist, wirst du uns geben, was wir verlangen.«
»Und das wäre?«
»Wir werden es dich wissen lassen, wenn wir siegreich waren.«
Craymorus antwortete nicht, sondern zog die Lederriemen an seinen Schienen fest. Jonan trat vor und reichte ihm die Krücken, bevor er danach fragen musste.
»Danke«, sagte der Fürst, dann nickte er Milus zu. »Zeig es mir.«
Er bestimmte das Tempo. Seine Krücken fanden kaum Halt auf dem regennassen Holz der Hängebrücke, aber Jonan half ihm nicht, ging nur neben ihm, bereit ihn aufzufangen, sollte es nötig sein. Die anderen folgten ihm wie in einer Prozession.
Mehr und mehr Magier verließen ihre Häuser und schlossen sich ihnen an. Jonan schätzte, dass es mehr als fünfzig waren, die mit langsamen Schritten den Felsen entgegengingen. Craymorus war außer Atem, als sie festen Boden erreichten, und stützte sich schwer auf die Krücken, aber Jonan entging nicht der Stolz in seinem Blick.
Garrsy breitete seinen Umhang auf einem Felsen aus und verbeugte sich. »Ihr wirkt erschöpft. Bitte setzt Euch.«
Craymorus schüttelte den Kopf. Es hatte aufgehört zu regnen, aber sein Haar hing noch nass in sein Gesicht.
»Nehmt Euren Umhang, Garrsy, bevor Ihr Euch erkältet.«
Er ist seinem Vater ähnlicher, als er ahnt , dachte Jonan.
»Adelus«, sagte Milus. »Zeig es ihm.«
Craymorus hob die Augenbrauen. Dass sein Bruder den Beweis erbringen sollte, schien ihn zu überraschen.
Adelus trat vor, die Soldaten zurück. Sie wirkten nervös. So wie Jonan waren sie nicht alt genug, um echte Magie erlebt zu haben. Sie wussten nicht, was sie erwartete.
Der Junge wischte Steine und Kiesel zur Seite, dann stampfte er mit dem Fuß auf. Einmal, zweimal, dann mit dem anderen, einmal, zweimal, dreimal. Er klatschte in die Hände, schuf einen Rhythmus, dem seine Beine folgten. Sein Mund bewegte sich lautlos, seine Füße wirbelten Dreck und Staub auf. Immer schneller wurde sein Tanz. Er riss die Knie hoch, sprang mit beiden Beinen in die Luft, stampfte und trat in den Boden, so als müsse er, was auch immer sich darin befand, mit aller Macht herausquetschen. Schweiß lief über sein Gesicht. Das Hemd klebte an seinem Rücken.
Und dann flog er.
Jonan blinzelte überrascht. Es war seltsam, einen Menschen über dem Boden schweben zu sehen. Adelus drehte sich und streckte die Hände aus. Seine Handflächen zeigten auf die Stadt der Magier. Jonan spürte ein Kribbeln auf der Haut, so als läge ein Gewitter in der Luft.
Es knirschte – dann flog eines der Häuser mit einem Knall auseinander! Ein zweites folgte, dann ein drittes und viertes. Die filigranen Strukturen wurden hinweggerissen. Trümmer stürzten in die Tiefe.
»Danke, Adelus, das reicht«, sagte Milus.
Der Junge ließ sich fallen, ging in die Knie und kam schwer atmend wieder hoch. Er grinste. »Ich dachte, die brauchen wir sowieso nicht mehr.«
Einige Magier lachten, aber die meisten sahen Craymorus an. Der Fürst stand reglos am Rand des Plateaus, den Blick auf die Stadt
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