Der verwaiste Thron 02 - Verrat
eines reichen.
Der Wachposten führte sie ins Haus, durch einen Eingangsbereich und einen kurzen Flur entlang, zog eine große, mit Holzschnitzereien verzierte Tür auf und verneigte sich. »Bitte tretet ein.«
»Danke.« Ana ging an ihm vorbei in einen saalartigen Raum mit hohen Decken, Mosaiken auf den Böden und Teppichen an den Wänden. Öllampen tauchten den Saal und den Mann, der hinter einem Tisch mit hohen Stühlen stand, in ein weiches, gelbes Licht. Ein Stuhl war zur Seite gerückt worden, so als sei gerade jemand aufgestanden. Der Mann trug eine lange weiße Robe und wandte ihr den Rücken zu. An den Fenstern standen zwei Soldaten mit eingefallenen Wangen und leeren Gesichtern. Es handelte sich eindeutig um Mitglieder der Ewigen Garde.
Ana wich zurück, doch dann hörte sie, wie sich die Tür hinter ihr schloss.
»Ana Somerstorm«, sagte der Mann. »Was für eine Freude, Euch wiederzusehen.«
Er drehte sich um. Ana hatte ihn nur einmal gesehen, aber sie erkannte ihn sofort. Das Blut rauschte in ihrem Kopf.
»Kö-König Cascyr«, stammelte sie, dann riss sie sich zusammen. Was macht er hier? , fragte sie sich, während sie einen tiefen Knicks vor ihm machte.
»Wie ich sehe, habt Ihr Euer gutes Benehmen trotz der widrigen Umstände nicht abgelegt. Das freut mich sehr.« Er schüttete Wein aus einer Karaffe in ein Glas. Ana bot er nichts an.
»Bitte verzeiht«, fuhr er nach einem Schluck fort, »dass Slergg Ogivers Euch nicht persönlich begrüßt hat, aber er muss sich gerade um andere, dringendere Angelegenheiten kümmern. Also hat er mir diese Freude überlassen.«
Etwas Boshaftes schwang in seinen Worten mit. Ana richtete sich auf. Sie fühlte sich, als würde sie einer Geschichte in einer Sprache lauschen, die sie nur halb verstand. Nichts ergab Sinn. »Habt Ihr gewusst, dass ich kommen würde?«
»Selbstverständlich. Könige wissen solche Dinge.« Sein Blick blieb kurz an den Ewigen Gardisten vor dem Fenster hängen. »Wir haben die ein oder andere Möglichkeit.« In einem Zug leerte er das Glas. Rotwein lief über sein Kinn und tropfte auf die weiße Robe. Die Flecken breiteten sich aus wie Blut. »Aber was soll ich lange reden, wenn es so viel zu zeigen gibt.« Er winkte Ana zu sich heran. »Kommt.«
Sie zögerte. »Ich möchte wirklich wissen, was …«
»Kommt!« Cascyr schrie sie an. Das Wort hallte von den Wänden wider. Ana zuckte zusammen. Ihr Herz schlug so heftig, dass ihr übel wurde.
Die Gardisten traten vor. Rechts und links von Ana stellten sie sich auf.
Cascyr räusperte sich. »Entschuldigt.« Seine Stimme klang so weich und freundlich wie zuvor. »Ich werde gelegentlich etwas ungeduldig. Würdet Ihr mich jetzt bitte begleiten?«
»Natürlich.« Anas Knie zitterten, als die Gardisten sie auf eine Seitentür zuführten.
Cascyr folgte ihnen. »Ich bin sicher«, sagte er, als sie in den Gang jenseits der Tür traten, »dass Ihr die Armee sehen wollt, die Somerstorm eroben wird.«
Kapitel 29
Die Stadt der Magier ist ein seltsamer Ort. Wer sie bereist, wird voller Melancholie zurückkehren und vielleicht sogar den Göttern danken, dass ihm ein Leben voller Macht und Reichtum erspart geblieben ist.
Jonaddyn Flerr, Die Fürstentümer und Provinzen der vier Königreiche, Band 1
»Wir wissen es seit einiger Zeit«, sagte Milus Ephardus. Die Magier hatten den Fürsten in das Haus gebracht, in dem Ephardus und sein Sohn lebten. Es war ein großes Haus und dehnte sich über drei Ebenen aus, die mit Treppen und Hängebrücken verbunden waren. Aus Höflichkeit dem Fürsten gegenüber blieb man auf der unteren Ebene. Sie bestand aus mehreren kleinen Räumen, in deren Regalen sich Pergamentrollen stapelten. Soldaten sicherten die Tür.
Jonan stand hinter dem Sessel, in dem Craymorus Platz genommen hatte, und beobachtete die Magier. Außer Ephardus und Adelus befanden sich noch zwei Frauen und ein Mann im Raum. Sie hörten überwiegend zu und sagten nur wenig.
Jonan war neugierig. Er hatte noch nie einen Magier gesehen, nur von ihnen gehört. Er wusste um ihre Magie und um ihre Schande.
Wieso haben sie gelogen? , dachte er. Wieso hatten sie die Armeen auf den Hügel, der zu ihrer Schande werden sollte, geführt, obwohl sie wussten, dass ihre Magie vergangen war. Niemand hatte ihm das je erklären können.
Um ihn herum ging die Unterhaltung weiter, aber Jonan hörte kaum zu. Stattdessen beobachtete er die Menschen in dem kleinen, stickigen Raum. Hätte Jonan nicht
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