Der verwaiste Thron 02 - Verrat
abzulenken, »hat sogar die Fürstin von Westfall ein solches Mal. Du musst dich also nicht dafür schämen.«
Die Augen des Mädchens wurden groß. »Woher weißt du denn, dass Fürstin Syrah ein Mal hat? Bist du schon mal in Westfall gewesen? Hast du sie gesehen?«
»Nein, natürlich nicht.« Ana versuchte, ihrer Antwort einen leichtfertigen Klang zu geben. »Aber es kommen viele Reisende durch Ashanar, da hört man die eine oder andere Geschichte.«
Nungo'was wischte sich mit den Handballen über die Augen. »Heißt nicht, dass sie wahr ist.«
»Das heißt aber auch nicht, dass sie unwahr ist.« Es war eine schnippische Antwort. Nungo'was wirkte überrascht.
Innerlich mahnte sich Ana zur Vorsicht. Penya, das einfache Mädchen vom Land, die Tochter eines Viehhändlers, konnte nichts über Fürstin Syrahs Feuermal wissen. Sie verbarg es bei offiziellen Anlässen. Nur die Menschen, die ihr nahe kamen, bemerkten es.
Und Penya , fügte sie in Gedanken hinzu, würde es auch nicht wagen, Nungo'was zurechtzuweisen. Schließlich war er älter als sie und ein Mann.
Ana räusperte sich. »Ich will damit nur sagen …«
Sie unterbrach sich, war erleichtert über die Rufe, die sie plötzlich von der anderen Seite des Hauses hörte.
»Passt auf!«
»Haltet sie doch fest!«
»Was macht ihr denn da?«
Die beiden Wachen sprangen auf und griffen nach ihren Speeren. Eine von beiden lief ins Innere des Hauses, die andere blieb vor der Tür stehen.
Wütende Schreie mischten sich in die Rufe, dann Gelächter.
»Was ist da los?«, flüsterte Merie. Ana hatte nicht bemerkt, dass sie näher herangerutscht war. Nun legte sie ihre Hand um Anas Arm. »Werden sie uns was tun?«
»Bestimmt nicht.«
Der Lärm ließ nach. Kurz darauf tauchte die zweite Wache wieder an der Tür auf. Merie wollte etwas fragen, aber Ana legte sich den Zeigefinger auf die Lippen.
»Gab es Ärger?«, hörte sie die erste Wache fragen.
Die zweite grinste. Sie war eine grobschlächtige Frau mit kurzem blondem Haar. »Darna hat eine Betrunkene aufgegabelt und mitgebracht. Die hat ganz schön um sich geschlagen, als sie aufgewacht ist. Zu dritt haben wir sie wieder schlafen gelegt.« Ihre Stimme wurde so leise, dass Ana sie kaum noch verstehen konnte. »Erys ist wütend. Sie sagt, Darna hätte sie liegen lassen sollen. Wer würde schon eine Sklavin kaufen, die sich morgens betrinkt?«
»Da hat sie recht. Und was machen wir jetzt mit ihr?«
»Erys hat sie zu den anderen sperren lassen. Vielleicht freut man sich ja im Süden über sie.«
»Redet ihr oder steht ihr Wache?«, fragte eine scharfe, helle Stimme. Die beiden Frauen zuckten zusammen. Ana sah zum Balkon, der den ersten Stock des Hauses umgab. Die Sonne war so hoch gestiegen, dass das Licht in Anas Augen stach. Schützend hob sie die Hand, aber die Frau, die auf dem Balkon aufgetaucht war, blieb trotzdem eine flimmernde, undeutliche Gestalt.
»Verzeih, Erys, wir stehen Wache.« Die Banditinnen neigten den Kopf.
»Dann ist ja gut.« Die Frau auf dem Balkon wandte sich ab, blieb stehen und drehte plötzlich den Kopf. Ana spürte ihren Blick, obwohl ihr Gesicht nur ein heller Fleck war. Es war ein unangenehmes Gefühl.
Dann war es auch schon vorbei. Erys wandte sich ab und ging, aber das Gefühl blieb, so wie der Rauch eines längst erkalteten Feuers.
Erst am Abend, als die Sonne tief über dem Großen Fluss hing, brachten die Banditinnen Ana und die anderen in ihre Zelle zurück. Den ganzen Tag über hatten sie Unkraut gejätet und Setzlinge gepflanzt. Anas Hände fühlten sich rau an. Sie war müde.
»Wo ist denn die Neue?«, fragte Nungo'was, während er die Kerze anzündete.
Florenia zeigte auf eine der Nischen. »Wir haben sie dort hinten hingebracht. Sie stinkt fürchterlich und schnarcht. Ich glaube, sie schläft ihren Rausch aus.«
»Ich denke, dass sie krank ist«, sagte Marta. Sie und Hetie saßen abseits von den anderen. »Geht nicht näher heran.«
»Sie ist nur betrunken. Die Frauen haben über sie geredet.« Ana kniff die Augen zusammen, konnte aber in der Nische nichts und niemanden ausmachen. Nach dem Tag im Sonnenlicht wirkte die Zelle noch dunkler und bedrückender als zuvor.
»Du weißt ja alles besser.« Martas Stimme klang keifend. »Dann geh doch hin und steck dich an.«
»Das werde ich auch«, sagte Ana. Es war die Reaktion eines trotzigen Kindes, lächerlich und albern, aber sie konnte nicht anders.
Sie versuchte, ihre Schritte unbeschwert wirken zu
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