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Der verwaiste Thron 02 - Verrat

Der verwaiste Thron 02 - Verrat

Titel: Der verwaiste Thron 02 - Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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…«
    »Ich muss nachdenken«, unterbrach Craymorus sie. Er drehte sich um und stieß die Tür mit einer Krücke auf. Sonnenlicht stach in seine Augen. Die Krämpfe in seinen Beinen ließen nach, als er sich über den Burghof dem Haupteingang entgegenzog. Seine Bewacher waren nicht zu sehen.
    Einige Arbeiter hatten damit begonnen, die Tribünen abzubauen. Einer der Männer stieß einen anderen an und zeigte auf Craymorus. Dann nahmen beide ihre Mützen ab und winkten ihm zu. Er tat so, als bemerke er das nicht.
    In den Tavernen und Gasthäusern Westfalls sprach man oft über ihn, das wusste er. Viele glaubten, dass er an einer Wunderwaffe gegen die Nachtschatten arbeitete. Sie ahnten nicht, dass er noch nicht einmal wusste, was die Nachtschatten eigentlich waren.
    Kurz vor dem Haupteingang bog er nach links ab. Aus den Augenwinkeln blickte er über den Hof. Mellie war ihm nicht gefolgt.
    Der Soldat, der die eisenbeschlagene Holztür bewachte, zog die Riegel zurück, als er Craymorus sah.
    »Ich sage Bescheid, Mylord.« Er verschwand in dem dunklen Gang jenseits der Tür. Nur wenig später erhellte Fackelschein die Wände, dann kehrte der Wächter mit zwei anderen Soldaten zurück. Sie wussten bereits, was sie zu tun hatten.
    Der Wächter nahm Craymorus' Krücken, die anderen beiden stützten ihn auf dem Weg nach unten. Die Treppenstufen waren so schmal und ausgetreten, dass er sie allein nicht überwinden konnte. Die Soldaten hatten die Aufgabe, ihn zu stützen. Nur tragen durften sie ihn nicht. Das hatte er ihnen am ersten Tag verboten.
    »Danke«, sagte er am Ende der Treppe. »Ihr könnt gehen.«
    Mit dem Schlüssel, den er stets in der Tasche trug, öffnete er die schwere Tür am Ende des Gangs. Es war der Weg, den die Henker nahmen, wenn sie nicht in der Burg gesehen werden wollten. Und es war der Weg, den Craymorus nahm, wenn er nachdenken wollte.
    Er schloss die letzte Tür hinter sich. Der Raum war kühl und roch nach Kot. Kerzenlicht erhellte ihn, riss steinerne Wände und von der Decke hängende Ketten aus der Dunkelheit. Craymorus setzte sich auf den Stuhl, der stets für ihn bereitstand, und lehnte die Krücken an den Tisch, auf dem Papier, Feder und Tinte standen.
    »Es hat geregnet letzte Nacht«, sagte er zu der reglosen Gestalt, die angekettet in der Mitte des Raums hockte. »Seit dem Morgen scheint die Sonne, aber in den Schatten ist es kalt.«
    Jedes Mal begann er seine Unterhaltung mit einer Beschreibung des Wetters. Manchmal reagierte der Nachtschatten darauf, manchmal nicht. An diesem Tag schien er nicht bereit zu einem Gespräch zu sein.
    Craymorus war das recht. Er lockerte die Lederriemen an seinen Beinschienen und lehnte sich zurück. Der Nachtschatten, ein Junge, der in die Sklaverei hatte verkauft werden sollen, zog sich die Decke über die Brust. An den Stellen, die nicht von dünnem beigefarbenem Fell oder Schorf bedeckt waren, war seine Haut bleich. Es war der einzige Nachtschatten, der je lebend gefangen genommen worden war, jedenfalls soweit Craymorus dies wusste. Er war selbst dabei gewesen, als sich der Junge auf der Fähre nach Westfall verwandelt hatte.
    Nicht nur die Ketten hielten ihn gefangen, sondern auch sein Körper, der seit Wochen in einer Form, die sich irgendwo zwischen Mensch und Nachtschatten befand, verharrte; er konnte sich nur noch kriechend bewegen.
    Craymorus schloss die Augen und lauschte dem leisen Klirren der Ketten. »Wir haben mehr gemein, als du glaubst«, sagte er leise. Der Nachtschatten schwieg, so wie er es erwartet hatte.
    Ich kann das nicht tun , dachte er. So ein Mann bin ich nicht.
    Die Vorstellung, Fürstin Syrah zu einer Heirat zu zwingen, erschien ihm lächerlich, auch wenn er verstand, was Mellie auf die Idee gebracht hatte. Einen Krüppel ohne Adelstitel zu heiraten, wäre eine kaum zu ertragende Demütigung für die Fürstin. Ihm ein Kind zu gebären …
    Craymorus öffnete die Augen, so wie ein Priester, der sich selbst bei einem blasphemischen Gedanken ertappt hatte. Der Nachtschatten sah ihn aus seinem einen braunen Auge an. Das andere hatte man ihm unter der Folter genommen. Fell wuchs in der leeren Augenhöhle.
    »Ich werde es nicht tun«, sagte Craymorus. Es erleichterte ihn, die Worte laut auszusprechen. Der Nachtschatten leckte sich mit seiner langen Wolfszunge über menschliche Lippen. Dann hob er den Kopf.
    Nur einen Moment später wurde die Tür aufgestoßen. Vier Soldaten in den goldpolierten Rüstungen der fürstlichen Leibgarde

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