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Der verwaiste Thron 02 - Verrat

Der verwaiste Thron 02 - Verrat

Titel: Der verwaiste Thron 02 - Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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Sie wartete, bis er es geschluckt hatte, und legte ihm die Kordel wieder an.
    »So fischen wir«, sagte sie. »Sie helfen. Gute Vögel.«
    »Warum fliegen sie nicht einfach weg, wenn ihr ihnen die Kordel abnehmt?«, fragte Gerit.
    Die ältere Frau legte den Kopf schräg. Ihr Hals war lang und faltig. Sie sah beinahe selbst aus wie ein Vogel.
    »Sie wollen Futter. Wenn kriegen Futter, sie mögen uns. Wenn kriegen Kordel, sie brauchen uns. Einfach.«
    Gerit nickte. »Einfach«, sagte er. Sein Gesicht spiegelte sich in den schwarzen Augen des Vogels. Er wandte den Blick ab und sah hinaus auf den Fluss. »Wann fahrt ihr wieder ans Festland?«
    »Wenn Sonne nicht mehr hoch.« Muan ahmte mit der Hand Naris vorgewölbten Bauch nach. »Nicht gut für sie.«
    »Verstehe.« Die Sonne stand fast noch senkrecht über dem Fluss. Das Glitzern, mit dem sich ihre Strahlen in den Wellen brachen, stach in den Augen. Ein paar Stunden noch , dachte Gerit. So schnell wird mich niemand vermissen.
    Und selbst wenn, würde Korvellan die Flotte nicht wegen ihm umdrehen lassen. Die Allianzen, die er trotz seiner Siege zu benötigen glaubte, würden sich auch ohne ihn schmieden lassen. Er hatte Somerstorm eingenommen und Baldericks Armee vernichtet. Die Herrscher der anderen Fürstentümer würden sich vor ihm auf die Knie werfen, wenn er ihnen die Gnade erwies, eine Allianz mit ihnen auch nur in Erwägung zu ziehen. Es gab vermutlich niemanden in den vier Königreichen, der ihn nicht fürchtete.
    Trotzdem konnte Gerit den Blick nicht vom Wasser lösen.
    Am Fluss sitzend überließ er die Fischer ihrem Mittagsschlaf, im Boot sitzend, als die Dämmerung sich näherte, überließ er sie ihren Gesprächen, zurückblickend, wartend, bis die Nacht hereinbrach. Dann legte er sich im Heck des langen schmalen Boots hin und bedeckte die Augen mit seinem Arm. Er hatte Angst, dass er im Schlaf weinen würde, und wollte nicht, dass das jemand sah.
    Durch einen Spalt unter seiner Armbeuge beobachtete er die Fischer. Sie unterhielten sich leise, lachten manchmal, warfen ihm hin und wieder einen kurzen Blick zu und sagten dann etwas. Sie hatten ihn nicht gefragt, ob er ein Nachtschatten war, und schienen auch keine Angst zu haben, dass er sich in einen verwandeln würde.
    »Wieso?«, fragte er am nächsten Morgen, nachdem er sich mit Flusswasser das Gesicht gewaschen hatte. »Wieso habt ihr mich mitgenommen? Fürchtet ihr die Nachtschatten nicht?«
    Muan hob die Schultern. Sein Blick folgte den drei Langhalstauchern, die über dem Boot kreisten. »Nachtschatten kommen auf Insel, bleiben, gehen von Insel. Kein Streit. Wieso fürchten?«
    Varah reichte Gerit ein rohes Möwenei. Er schlug es an der Bootsreling auf, schlürfte es aus und zerdrückte das Eigelb mit der Zunge an seinem Gaumen. Es schmeckte süßlich und ein wenig nach Fisch.
    Der Fang des Morgens lag bereits in den Netzen am Boden. Muan hatte Gerit erklärt, dass sie den Fisch nicht aßen, den sie so weit draußen fingen. Am Hafen bekamen sie einen so guten Preis dafür, dass sie es sich nicht leisten konnten, selbst davon zu essen. Sie wussten noch nicht einmal, wie die Fische schmeckten.
    »Bist du Nachtschatten?«, fragte Nari, als Gerit die Eierschalen ins Wasser warf.
    »Nein«, sagte er.
    »Aber du mit Nachtschatten?«
    Varah sagte etwas, das wie eine Zurechtweisung klang. Vermutlich, so schätzte er, bedeutete es: Sei nicht so neugierig.
    Nari senkte den Kopf und errötete.
    »Schon gut.« Gerit wischte sich die Finger an der Hose ab und lehnte sich an die Bootswand. Der Einbaum war schmal. Nebeneinander konnte man nicht sitzen, und Bänke gab es auch nicht. Über ihm blähte sich das Segel im Wind. Der Ausleger hüpfte über das Wasser.
    »Es macht mir nichts aus, darauf zu antworten«, sagte er nach einem Moment. Worte bildeten sich in seinem Geist, so viele und so verwirrend, dass er nicht wusste, wie er sie ordnen sollte.
    »Ich habe ihnen geholfen«, begann er. »Sie haben meine Eltern umgebracht. Sie haben mir alles genommen, und ich habe ihm geholfen … ihnen geholfen. Ich hätte ihn verraten können, aber ich tat es nicht. Ich ging zurück, obwohl ich hätte fliehen können.«
    Die Worte flossen immer weiter aus ihm hervor. Er versuchte sie aufzuhalten, aber sein Wille war wie Sand, der vom Fluss hinweggespült wurde. »Ich bin mit ihnen gezogen. Ich habe Baldericks Armee in den Tod geführt und zugesehen, als man ihm den Kopf abschlug. Sie mussten mich nicht bewachen. Ich wollte

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