Der verwaiste Thron 02 - Verrat
nicht gehen. Und jetzt bin ich weg, und sie haben mich nicht geholt, und ich wollte, sie würden es.«
Seine Stimme zitterte. Er wischte sich mit der Hand über die Augen, aber sie waren trocken. Varah rollte Algenstreifen zusammen, so als hätte sie nichts von dem gehört, was er gesagt hatte. Muans Blick folgte immer noch den Vögeln, nur Nari sah Gerit an.
»Ich verstehe nicht«, sagte sie. »Zu schnell.«
Einen Augenblick lang war er enttäuscht, dann erleichtert. Sein Verhalten war beschämend gewesen, eine falsche Entscheidung, die er bereute.
»Ist nicht so wichtig«, sagte er. Aus den Augenwinkeln sah er, wie einer der Vögel auf der Reling landete. Er hatte einen Fisch im Schnabel. Die Schwanzflosse ragte noch heraus.
Muan öffnete den Schnabel und warf den Fisch ins Boot. »Einfach, Nari.« Er zeigte auf Gerit, dann auf den Vogel mit der um den Hals gebundenen Kordel. »Er wie sie.«
Dann grinste er. Algen hatten seine Zähne grün gefärbt. »Wir alle wie sie.«
Sie verbrachten die heißen Mittagsstunden im Schatten einiger Bäume mitten im Fluss. Möwen, Langhalstaucher und kleinere, rundliche Vögel, deren Flügel grün schimmerten, saßen dicht nebeneinander auf den Ästen und Zweigen. Ihr Gurren ging im Rauschen des Flusses unter. Ab und zu flogen ein paar Vögel auf, tauchten ins Wasser ein und kehrten mit einem Fisch im Schnabel zurück. Dann flogen Schwärme von Vögeln auf und versuchten ihnen die Beute abzujagen. Meistens gelang ihnen das.
Gerit sah ihnen eine Weile zu, die Arme auf die Reling gelegt, das Kinn auf die Hände gestützt. Einige Armlängen unter ihm wogte Gras langsam im Wasser hin und her. Ein Steg begann in einiger Entfernung und führte ins Nichts. Das Holz schaukelte vor seinen Augen im Rhythmus der Wellen.
Sie aßen, schliefen und fuhren weiter, als es kühler wurde. Muan steuerte das Boot mit Stricken, die von den Segeln herabhingen. Wie Pferdezügel hielt er sie zwischen den Fingern. Woran er sich orientierte, wusste Gerit nicht. Er fragte Muan danach, aber der Mann winkte nur ab, als habe man ihm die Frage schon so oft gestellt, dass ihn die Antwort langweilte.
Am späten Vormittag des nächsten Tages legten sie schließlich am Hafen von Gomeran an. Es war eine kleine Stadt mit niedrigen Holzhäusern, vor denen Fischer saßen, Netze flickten und Fische zum Trocknen in die Sonne legten. Nachtschatten patrouillierten durch die Gassen, die Speere lässig über die Schulter gelegt. Hinter den Häusern ragten die Mauern einer Garnison auf. Fahnenmasten ragten in den Himmel. Keine Flagge hing daran und kein Banner. Korvellan hatte sie entfernen lassen, als er in Gomeran einmarschiert war, so wie er es in jeder Stadt tat. »Nachtschatten brauchen keine Farben«, hatte er einmal gesagt, als Gerit ihn danach fragte. »Wir wissen auch so, wer wir sind.«
Muan fand eine freie Anlegestelle zwischen Booten, die genauso aussahen wie das seine. Einige Fischer nickten ihm zu, als er auf den Steg kletterte und Nari nach oben half. Die Vögel blieben auf dem Ausleger sitzen. Ihre Blicke suchten das Wasser ab.
Gerit half den Fischern, das Boot zu entladen. »Ich danke euch für eure Hilfe«, sagte er, als der Fang auf dem Steg lag und die ersten Händler sich mit ihren Karren näherten.
Muan neigte den Kopf. »Wohin du jetzt?«
»Mal sehen, vielleicht nach Süden.« Gerit wählte seine Worte vorsichtig. Korvellan schien niemanden hinter ihm hergeschickt zu haben, aber das konnte sich ändern. Er durfte sie nicht durch eine unüberlegte Äußerung auf seine Spur bringen.
»Hast du heute was für uns?«
Muan drehte sich zu den beiden Händlern um, die ihren Karren neben ihm abstellten. Kisten voller Salz stapelten sich darauf.
»Immer was für dich, Ullo, bei Preis gut.«
Ullo, ein älterer Mann mit grauem Bart, grinste und klopfte ihm auf die Schulter. Er trug abgewetzte Lederkleidung und einen Gürtel, in dem ein Dolch steckte. »Wir werden uns schon einig. Das ist übrigens Mikee. Er ist neu hier, macht seine Sache aber schon ganz gut.«
Mikee war jünger und kräftiger als Ullo. Sein Gesicht und der kahl geschorene Kopf waren von vernarbten Peitschenstriemen überzogen. Gerit warf einen Blick auf seine Handrücken. Die Sklavenmale waren deutlich zu sehen. Er konnte nicht sagen, für welchen Händler das Muster aus Wellen und Kreisen stand. Ana hätte das vermutlich gewusst. Sie hatte sich immer mehr für dieses Geschäft interessiert als er. Damals, in seinem alten
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