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Der verwaiste Thron 02 - Verrat

Der verwaiste Thron 02 - Verrat

Titel: Der verwaiste Thron 02 - Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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schwerer Geruch hing in der Luft.
    Das Plätschern kam näher – oder vielleicht war es Craymorus, der sich ihm näherte. »König Cascyr?«, fragte er. Mit einer Krücke schob er eine Stoffbahn zur Seite und zog sich daran vorbei. Der Geruch wurde stärker, salziger.
    Und dann sah er Oso, seinen Sklaven. Wie ein Vogel schwebte er über Craymorus. Seine Arme waren ausgebreitet, seine Beine zusammengebunden. An langen weißen Stricken hing er nackt von der Decke, den Blick auf Craymorus gerichtet. Ein Seidenschal, der mit den Stricken verknotet war, hielt seinen Kopf aufrecht. Er war blass, blasser als der Nachtschatten im Kerker, blasser als jeder Mensch, den Craymorus je gesehen hatte. Etwas hatte seinen Bauch aufgerissen und die Eingeweide herausgezogen. Blut und Fett fielen in trägen Tropfen zu Boden. Die Büffelhäute unter ihm hatten sich rot gefärbt, eine Stoffbahn, deren Saum sich vollgesogen hatte, lag zerknittert auf ihnen.
    Craymorus wollte sich umdrehen, aber die leeren, toten Augen seines Dieners hielten seinen Blick fest. Sein Mund war aufgerissen, sein Gesicht eine Fratze. Er hatte gelebt, viel zu lange gelebt.
    »Es tut mir leid, Oso«, sagte Craymorus und übergab sich.
    »Was hast du ihr gesagt?«, fragte eine Stimme plötzlich. Sie war dumpf, so als wäre es der Stoff selbst, der zu Craymorus sprach.
    »Cascyr?« Craymorus spuckte bitteren Speichel aus. Seine Arme zitterten. »Wart Ihr das?«
    König Cascyr ignorierte die Frage. »Eine Prophezeiung, sagte sie, die Fürstin. Eine Entscheidung der Götter. Niemand kann sich über den Willen der Götter hinwegsetzen, nicht einmal eine Fürstin oder ein König.«
    Craymorus glaubte einen Schatten hinter den Stoffbahnen zu sehen und schlug mit seiner Krücke danach. Sie verfing sich im Stoff und riss ihn beinahe zu Boden.
    »Also möchte ich wissen, was du gesagt hast, Krüppel. Wie hast du sie dazu gebracht?«
    Craymorus drehte sich suchend um, versuchte Oso nicht anzusehen, der an seinen Stricken langsam hin und her schwang. »Es war eine Prophezeiung, das ist alles.«
    »Das hat dein Sklave auch gesagt. Du siehst ja, wohin es ihn gebracht hat.«
    Er wird mir nichts tun , erkannte Craymorus plötzlich. Nicht mit den Wachen vor der Tür und einem Volk in den Gassen Westfalls, das meinen Tod sofort auf ihn schieben würde. Er kann sich keinen Aufstand leisten, während die Nachtschatten uns entgegenmarschieren.
    »Nennt Ihr die Fürstin eine Lügnerin?«, fragte er.
    Schweigen antwortete ihm. Craymorus blieb stehen, lauschte in das Rauschen des weißen Raums. Ein Windstoß blähte die Stoffbahnen auf, dann fiel eine Tür krachend ins Schloss. Die Stoffe fielen in sich zusammen. Craymorus atmete aus.
     
     
    Er war doch nur ein Sklave – das hatte Leutnant Garrsy gesagt, als Craymorus ihn fragte, was mit Cascyr und seiner Ewigen Wache geschehen würde. Der König hatte das Recht, mit ihm so zu verfahren, wie er es für angemessen hielt, auch wenn – das hatte Garrsy hinzugefügt – es durchaus unüblich war, dieses Recht auf solch extreme Weise auszuüben. »Oso muss ihn sehr verärgert haben«, hatte er gesagt.
    Craymorus war nicht darauf eingegangen. Er kannte die Wahrheit.
    »Oso ist meinetwegen gestorben«, sagte er leise. Er stand am Fenster seines Quartiers, den Blick auf den Hof der Burg gerichtet. Cascyr reiste ab. Die Packpferde standen bereits an den Toren, Sklaven schüttelten die Kissen der Sänfte aus. Gardisten hatten sich rund um den Haupteingang positioniert. Ihre Blicke suchten die Umgebung ab. Craymorus wusste nicht, ob sie ihn sehen konnten.
    »Er wurde gefoltert und ermordet, weil Cascyr glaubte, er wüsste etwas«, fuhr er fort.
    »Aber er wusste nichts.« Mellie saß auf seinem Bett, die Beine unter dem Körper verschränkt, die Hände in den Schoß gelegt. »Wir sind immer noch sicher. Nichts hat sich geändert.«
    »Alles hat sich geändert.« Craymorus drehte den Kopf. Das Holz der Krücken drückte gegen seine Schultern. »Osos Tod ist das Ergebnis unserer Taten. Weil du Macht wolltest und ich …« Er sprach den Satz nicht zu Ende. Für einen Moment sah er sich selbst am Fenster stehen wie einen Schauspieler auf einer Bühne. Die Worte, die er gesprochen, die Gedanken, die er gehegt hatte, erschienen ihm auf einmal wie die eines Fremden. Warum hatte er sich auf Syrahs Erpressung eingelassen, obwohl es nichts gab, was er von ihr wollte, keine Macht, keinen Titel, keinen Reichtum? Hatte er es wirklich für Mellie getan? Er

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