Der verwaiste Thron 02 - Verrat
Tränen liefen ihr übers Gesicht. »Ich will nicht sterben. Ich kann deine Sklavin sein, wenn du willst. Alles werde …«
Schwarzklaue unterbrach sie. Seine Schwertspitze richtete sich auf ihre Brust. »Bist du allein?«
Sie schwieg.
»Bist du allein?«, brüllte er.
Sie zuckte zusammen. Ihre Mundwinkel zitterten.
»Nein, ist sie nicht«, antwortete die Stimme eines Mannes aus dem Halbdunkel des Raums, »aber das weißt du ja längst.«
Er glaubt, dass ich ihn riechen kann , dachte Schwarzklaue. Er war kein Lügner, also schwieg er.
Einen Moment später traten ein Mann und eine Frau in den Innenhof. Kurz sahen sie zu der Leiche neben dem Tor, der Mann resignierend, die Frau mit sichtlichem Entsetzen. Sie hustete, als müsse sie sich übergeben. Sie war älter als das Mädchen, das vor Schwarzklaue kniete, aber ebenso einfach gekleidet.
»Wirst du uns töten?«, fragte sie mit gesenktem Kopf. Sie schien ihn nicht ansehen zu wollen. »Es würde mich nicht stören, wenn es schnell geht. Ich habe meinen Frieden mit …«
»Hör auf!« Das Mädchen schrie sie an. »Ich will nicht sterben!«
»Was du willst, interessiert niemanden mehr.« Es lag eine Häme in der Stimme der älteren Frau, die Schwarzklaue nicht verstand. »Nichts war dir je gut genug, immer weiter hast du Frek und Urek getrieben, und ich musste mitgehen, weil die kleine Hetie allen leid tat. Die Köhlerei, der Hof, die Pelzjagd. Aber nicht weiter, nicht zu den Nachtschatten, nicht in die Sklaverei!« Sie hob den Kopf und sah Schwarzklaue an. »Ich habe die Götter gebeten, uns zu töten, Ungeheuer. Du bist ihre Antwort. Tu es.«
»Nein!«
Er wusste nicht, woher Hetie das Messer hatte. Es war ein kleines Messer, mit einer Klinge, die nicht länger als ein Finger war, und es lag auf einmal in ihrer Hand. Sie sprang auf, stürzte sich auf die ältere Frau und stieß dreimal zu, bevor der Mann sie erreichte und mit einem Tritt auf die Seite warf.
Schwarzklaue bemerkte, wie sicher er sich bewegte. Er war ein Kämpfer.
Die Frau krümmte sich und presste die Hände auf den Bauch. Blut lief zwischen ihren Fingern hindurch und tropfte auf den Boden. Es war viel Blut, mehr als Schwarzklaue erwartet hatte. Hetie musste eine Ader getroffen haben.
Er lachte. »Da hast du die Antwort auf dein Gebet, Frau.«
Sie fiel auf die Knie. Ihr Mund bewegte sich, aber es quoll nur Blut hervor. Die Farbe wich aus ihrem Gesicht. Langsam kippte sie nach vorn und fiel mit dem Gesicht in Staub und Asche.
»Ist sie tot?« Hetie klang hysterisch. »Ich wollte doch nur, dass sie aufhört.«
Sie warf das Messer weg. Tränen liefen ihr über die Wangen, aber Schwarzklaue achtete nicht auf sie, nur auf den Mann, der mit geballten Fäusten über ihr stand und das Schwert in Schwarzklaues Hand anstarrte.
»Willst du es haben?«, fragte Schwarzklaue.
Der Mann schüttelte den Kopf. »Ich will nur lebend hier raus.«
»Ich auch.« Hetie zog die Nase hoch und setzte sich auf. Sie wandte den Kopf so, dass sie die Leiche am Boden nicht ansehen musste. »Sag mir, was ich tun soll.«
»Wisst ihr, wie man aus der Stadt kommt?«
Heties Schweigen verriet ihm, dass sie es nicht wusste, so wie das Blinzeln des Mannes ihm sagte, dass er den Weg kannte. Schwarzklaue nickte ihm zu. »Wie ist dein Name?«
»Purro.«
»Bring mich aus der Stadt, Purro, und du bist frei.«
Purro zögerte. Seine Hand bewegte sich, so als wolle er auf Hetie zeigen und Schwarzklaue bitten, auch sie zu verschonen. Doch dann fiel sein Blick auf die Leiche, und seine Hand rührte sich nicht mehr.
»Du gibst mir dein Wort?«, fragte er.
Schwarzklaue nickte.
»Dann bin ich einverstanden.«
»Bitte nimm mich mit.« Hetie rieb sich die roten Augen. »Ich bin eine gute Dienerin, und ich weiß viel.« Sie begann zu stammeln. »Ich weiß, dass Ana Somerstorm bei den anderen ist.«
Ana Somerstorm. Schwarzklaue merkte auf. Korvellan hatte einige Male von ihr gesprochen, von der Vollkommenheit des Sieges, den sie erlangen würden, wenn sie tot wäre. Aber Schwarzklaue hatte das nie interessiert. Er war dabei, die Menschen mitsamt ihren Allianzen, ihren Fahnen und ihren Namen hinwegzuwischen. Was kümmerte ihn die Flucht eines Mädchens? Sie würde schon bald keine Bedeutung mehr haben.
Hetie schien zu spüren, dass ihre Neuigkeit keinen Wert für Schwarzklaue hatte. »Ich weiß noch mehr«, sagte sie rasch. »Ich weiß …«
»Sei ruhig«, unterbrach Purro sie.
Schwarzklaue sah, wie er sich verkrampfte, und
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