Der verwaiste Thron 02 - Verrat
Masten geklettert. Und immer mehr Menschen kamen über Leitern und Planken an Deck, sprangen von den Stegen ins Wasser und zogen sich an den Ankerketten empor. Matrosen versuchten eine Planke einzuholen, aber die Menge drängte sie zurück.
Erys richtete sich im Sattel auf. »Das ist unser Schiff. Holt es euch!«
Ana sah sie an. Rauch wehte an ihnen vorbei auf das Wasser. »Es fährt nach Charbont.«
»Es fährt, wohin wir wollen.« Erys legte mit der Armbrust an und erschoss einen Mann, der am Anker emporkletterte. »Sobald wir dafür gesorgt haben, dass es überhaupt fährt.«
Die Schwertkämpferinnen sprangen von den Karren und liefen über die Planken an Bord. Ihre Klingen schienen zu Sensen zu werden, die Menschen vor ihnen zu Gras. Erys' Pfeile trafen die, die sich auf die Masten flüchteten. Die meisten sprangen jedoch ins Wasser und schwammen dem zweiten Schiff entgegen. Ana sah ihnen nach. Einige hatten die Ankerketten bereits erreicht und zogen sich an ihnen hoch. Fässer und Kisten trafen sie, warfen sie in den Fluss zurück. An der Reling standen Menschen mit weiteren Wurfgeschossen in den Händen. Leichen, in denen Pfeile steckten, trieben mit dem Gesicht nach unten neben dem Schiff.
Sie tun, was wir tun , dachte Ana. Der Gedanke beruhigte sie nicht.
Die Ochsenkarren fuhren über sich biegende Planken an Bord, Ana und die Reiterinnen folgten ihnen. Es waren immer noch Menschen an Bord. Sie drängten sich in einer Ecke zusammen, aber die Todesmasken ließen sie in Ruhe, kappten nur die Taue und stießen die Planken von der Reling.
Erys sprang vom Pferd und nickte einem Matrosen zu. »Ablegen!«, befahl sie.
»Sofort.« Er wirkte erleichtert.
Ana blieb auf ihrem Pferd sitzen und sah zurück zum Ufer, zu den Stegen voller Menschen und dem Hafen, über dem die Feuer loderten.
»Was ist mit Hetie und Purro und den anderen?«, fragte sie, obwohl sie die Antwort bereits kannte.
Erys hob den Kopf. Etwas schimmerte in ihren Augen. Ana wusste nicht, ob es Tränen waren.
»Sie werden sterben«, sagte sie und wandte sich ab.
Mit langen Stangen stemmten sich die Matrosen gegen den Steg. Unter Deck wurden Befehle gebrüllt, dann klatschten Ruder ins Wasser, und das Schiff setzte sich knarrend in Bewegung. Ein paar Flüchtlinge sprangen ins Wasser und versuchten sich an den Rudern festzuhalten, aber die Pfeile der Todesmasken trieben sie zurück.
Flüche und Schreie folgten dem Schiff, als es sich drehte und langsam die Bucht verließ.
»Wartet ihr auf uns?«, rief ein Matrose vom Deck des Schiffes, über dem die Fahne Westfalls wehte.
»Nein!«, antwortete der Steuermann ihres Schiffs. Erys stand neben ihm am Heck, einen Fuß auf die Reling gestellt, die Armbrust auf dem Oberschenkel liegend. »Keine Zeit!«
»Wie du meinst.« Der Matrose schüttelte den Kopf und winkte seinem Steuermann zu. »Sie warten nicht!«, rief er.
»Das ist gefährlich«, sagte einer der nackten Männer im Käfig. »Wir sollten bei den anderen bleiben, falls uns Piraten angreifen.«
»Sieh dich doch um! Welcher Pirat wäre denn so blöd, uns anzugreifen?«, rief ein anderer. Ana glaubte, die Stimme des Manns zu erkennen, der sich mit der alten Frau angelegt hatte, aber sie drehte nicht den Kopf.
Vom Rücken ihres Pferdes sah sie etwas anderes, das ihre Aufmerksamkeit erregte, der Anblick von Uniformen auf dem Deck des anderen Schiffs. Ana kniff die Augen zusammen, als könnte sie so das Chaos aus Menschen, Tieren und Kisten durchdringen. Fast alle Passagiere des anderen Schiffs hielten sich an den Seiten auf, bewarfen Flüchtlinge mit Kisten und Fässern oder stachen mit Speeren nach ihnen. Ein paar kappten die Seile und zogen die Planken ein. Nur vier von ihnen waren uniformiert.
Ana zuckte zusammen, als sie Jonan zwischen ihnen sah. Er stand neben einem dicken, älteren Mann, der mit seinem Schwert auf etwas jenseits der Reling einschlug. Ein anderer Uniformierter, älter und dünner als er, bewarf Flüchtlinge, die über die Planken an Bord kommen wollten, mit Melonen. Saft und Fruchtfleisch bedeckten das Holz; wer nicht getroffen wurde und fiel, rutschte darauf aus. Es sah aus wie eines dieser Spiele, die auf Jahrmärkten gespielt wurden, aber weder der Werfer noch die Flüchtlinge lachten.
Es knatterte, als über Ana die Segel gehisst wurden. Wind bauschte den Stoff auf. Das Schiff beschleunigte. Ana sprang vom Pferd und lief an der Reling entlang zum Heck, versuchte so lange wie möglich in der Nähe des anderen
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