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Der verwaiste Thron 03 - Rache

Der verwaiste Thron 03 - Rache

Titel: Der verwaiste Thron 03 - Rache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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verschwunden. Syrah glaubte in einen Abgrund zu starren, in einen dunklen Schacht, so tief, dass sie auf ewig fallen würde. Kein Leben lag in diesen Augen und kein Tod. Sie waren leer und kalt wie eine wolkenlose Nacht ohne Sterne.
    Die Stimme eines Soldaten vor der Tür riss sie aus ihrer Erstarrung. »Alles in Ordnung?«
    »Ja«, sagte Craymorus' Stimme aus Mellies Mund. »Ich war nur etwas ungeschickt.« Sie lächelte. Es war eine Grimasse.
    »Siehst du«, fuhr sie mit ihrer eigenen Stimme fort. »Ich lerne mit jedem Tag etwas Neues dazu. Wer weiß, wo das enden wird.«
    Syrah wollte fliehen, wollte die Tür aufreißen, den Gang hinunterlaufen, über den Hof, durch das Tor, den Hügel hinunter, über den Großen Fluss bis zum Rand der Welt und darüber hinaus.
    Sie blieb stehen. Ihre Beine zitterten, ihre Hände waren kalt, ihr Kopf heiß, aber sie blieb stehen.
    Ich habe nie an die Vergangenen geglaubt. Ich dachte, sie wären nur ein Märchen. Der Gedanke reizte sie zum Lachen. Sie drängte es in ihre Kehle zurück.
    »Wir waren bei meiner Tochter stehen geblieben«, sagte sie. Ihre Stimme klang gepresst. »Wo ist sie?«
    »Willst du nicht wissen, wer ich bin?«, fragte Mellie. Nur ihr Mund bewegte sich. Der Rest ihres Gesichts, ihr ganzer Körper blieb reglos. Der Anblick war verstörend.
    »Ich weiß, was du bist«, sagte Syrah.
    »Wirklich? Wer hat es dir gesagt? Korvellan?« Mellie nickte ruckartig. »Ja, Korvellan. Du bist nicht selbst darauf gekommen, und Cray hast du auch nicht gefragt. Er weiß es, aber er tut nichts. Er hält mich für einen Gott.« Ihr Lächeln kam und ging in einem Lidschlag. »Ich glaube, das kostet ihn den Verstand.«
    »Ich will nicht über ihn reden.«
    »Ich aber.« Mellies Worte knallten wie ein Peitschenhieb.
    Syrah spürte, wie etwas warm über ihre Lippen lief. Sie wischte mit der Hand darüber. Es war Blut. Ihre Nase blutete.
    »Er interessiert mich«, sagte Mellie in ihrem starren, leeren Körper. »Ich kann ihn dazu bringen, manche Dinge zu tun, andere nicht. Ich habe ihm gesagt, er solle Korvellan hinrichten lassen, aber er macht es nicht. Das ist seltsam. Ich werde wohl einen anderen bitten, ihn zu töten.«
    Syrah spürte einen Stich. Nur die Tür in ihrem Rücken hielt sie noch aufrecht.
    »Vielleicht dich.« Mellie hob den Arm und winkte sie heran. »Komm her!«
    Syrah ging auf sie zu. Sie ekelte sich vor den leeren Augen und dem reglosen Körper, trotzdem ging sie darauf zu. »Was ist mit meiner Tochter?«
    »Sei ruhig.«
    Syrah schwieg.
    »Geh zum Fenster.«
    Syrah war froh, dass sie Mellie den Rücken kehren konnte. Sie ging zum Fenster.
    »Öffne es.«
    Sie öffnete es. Klare Morgenluft trocknete den Schweiß auf ihrem Gesicht. Dankbar atmete sie ein. Der Wind wehte aus Richtung des Großen Flusses. Sie roch seine Süße.
    »Steig auf den Sims.«
    Syrah stieg auf den Sims.
    Sie hielt sich am Fensterrahmen fest und sah nach unten. Die Menschen auf dem Hof waren so groß wie ihre Hand. Sie sah Kinder, die zwischen den Unterständen und den Feuern spielten. Der Platz vor dem Tor war verschlammt. Einige Magier gingen darauf zu. Über der Stadt stiegen schmale Rauchsäulen auf. Es würde bald regnen.
    »Ich kann mit dir machen, was ich will.« Mellies Stimme drang aus dem Zimmer zu ihr auf den Sims. »Wenn du wieder in deinen Gemächern bist, wirst du das erkennen. Ich werde dich nun um einige Dinge bitten. Zuerst Kor…«
    Syrah ließ los.
    Langsam kippte ihr Körper nach vorn. Sie spürte, wie sich ihre Füße vom Sims lösten, hörte Mellies kaltes »Das habe ich dir nicht befohlen« und sah den Hof tief unter sich. Einen Moment lang war es, als würde sie fliegen, als würde die Luft sie weg von der Festung und hinaus über den Rand der Welt tragen.
    Dann fiel sie.
    Mit geöffneten Augen stürzte sie den Steinen entgegen.
    Der Aufprall riss sie aus der Welt.

 
Kapitel 10
     
    Was unterscheidet einen Fürsten von einem Bettler, wenn beide in ihrem Grab liegen? Ist es die Farbe der Haare, die Stärke der Knochen oder der Geruch des Fleisches? Wer die Antwort auf diese Fragen kennt, versteht, weshalb in Westfall die Toten verbrannt werden.
    Jonaddyn Flerr, Die Fürstentümer und Provinzen der vier Königreiche, Band 1
     
    »Sie ist tot. Syrah ist tot.«
    Die Nachricht sprang von Mensch zu Mensch, Mund zu Mund. Jonan hörte sie, als er die Nachtschicht auf der Rückseite der Festung beendete und an den Gemüsegärten vorbei auf den Hof zuging. Ein alter, buckliger

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