Der verwaiste Thron 03 - Rache
einer Patrouille zurückgekehrt. Sie richteten Speere auf jemanden oder etwas am Boden. Mehr konnte Ana nicht erkennen. Zelte nahmen ihr die Sicht.
Neugierig ging sie auf die Patrouille zu. Ihr Bewacher schien nichts dagegen zu haben, denn er hielt sie nicht auf, sondern folgte ihr nur weiterhin stumm.
»Wer bist du?«, hörte sie Cascyr fragen. »Wieso trägst du diese Uniform?«
»Fürst Craymorus schickt mich.«
Ana erstarrte. So abrupt blieb sie stehen, dass der Gardist beinahe gegen sie geprallt wäre.
Das kann nicht sein , dachte sie.
»Westfalls Festung wird von Nachtschatten belagert«, sagte die Stimme, die sie seit vielen Blindnächten nicht mehr gehört hatte und doch so gut kannte. »Er bittet um Hilfe, Herr.«
Sie ging näher heran. Soldaten standen vor ihr, aber sie konnte zwischen ihnen hindurchsehen. Die Gardisten auf den Pferden warfen ihr einen kurzen Blick zu. Cascyr schien sie nicht zu bemerken.
Jonan kniete auf dem Boden. Man hatte ihm die Hände hinter dem Rücken gefesselt. Sein Gesicht war blutverschmiert, ein Auge geschwollen. Er trug die Uniform Westfalls.
»Tut er das?« Cascyr verschränkte die Arme vor der Brust. »Und woher weiß er, dass Wir hier sind?«
»Das weiß er nicht, Herr. Ich sollte in Charbont um Hilfe ersuchen. Eure Männer haben mich gefunden, nicht ich sie.«
Einer der Gardisten nickte. »Das stimmt, Herr«, sagte er. »Wir haben ihn schlafend in einer Viehtränke gefunden.«
Ana versuchte sich an den Soldaten vorbeizudrängen, aber sie traten nicht zur Seite. Nur einer drehte sich zu ihr um und sah dann ihren Bewacher an, so als wolle er ihn auffordern, sie wegzubringen.
Nein , dachte Ana. Nicht, bevor er weiß, dass ich hier bin. Jonan deutete mit dem Kinn auf seine Brust. »In meiner Jacke steckt das Siegel des Fürsten, Herr. Ich lüge nicht.«
»Ich will es sehen«, sagte Cascyr.
Der Soldat, der vor Ana stand, löste sich aus der Reihe und ging auf Jonan zu. Er zog eine Schriftrolle aus dessen Jacke und reichte sie Cascyr. Jonan beobachtete ihn.
Dreh den Kopf , dachte Ana. Sieh nur einmal her.
Sie spürte die Hand ihres Bewachers auf der Schulter. »Kommt«, sagte er.
Sie schüttelte seinen Griff ab. »Lass mich in Ruhe«, sagte sie laut.
Jonan zuckte zusammen. Ihre Blicke trafen sich. Seine Mundwinkel zuckten, dann wurde sein Gesicht starr, so als habe er jedes Gefühl daraus verbannt.
Cascyr ließ die Schriftrolle sinken. »Weshalb starrst du Unsere Braut an?«
Jonan senkte rasch den Blick. »Verzeiht, Herr, ich war nur überrascht, eine Frau zwischen Soldaten zu sehen.«
Anas Bewacher fasste sie am Arm. Sein Griff war hart. Sie versuchte sich dagegen zu wehren, aber er zog sie einfach mit sich.
Nach einem Moment ließ sie es geschehen. Sie wollte Jonan nicht noch mehr in Gefahr bringen.
»Du scheinst nicht zu lügen«, hörte sie Cascyr hinter sich sagen. »Dann höre Unsere Antwort, und merke sie dir, damit du sie deinem Herrn auch richtig wiedergibst. Wir verweigern ihm jegliche Hilfe. Wir hoffen, dass die Nachtschatten ihn, der es nicht verdient, Fürst genannt zu werden, und seine hochnäsige Gemahlin in Stücke reißen. Sollten sie das nicht tun, kann er versichert sein, dass Wir das Werk der Ungeheuer vollenden. – Löst seine Fesseln, und werft ihn aus dem Lager. Wir werden die Schriftrolle behalten, damit er keinen Unfug damit anstellt.«
Ihr Bewacher ließ Ana los, als sie sich nicht mehr wehrte. Wortlos ging sie zurück zum Zelt. Ihre Knie zitterten, und ihr Mund war trocken, als sie sich unter den Zeltstangen duckte und die Stoffbahn über den Eingang zog.
Merie hatte sich auf ihrem Lager ausgestreckt. Am Tag zuvor hatte sie zum ersten Mal begonnen zu bluten, war zur Frau geworden. In Somerstorm wäre das ein Anlass zur Freude gewesen, in anderen Provinzen hätte man sie an diesem Tag geprügelt. Ana hatte Merie vorsichtshalber gebeten, niemandem etwas davon zu sagen.
Merie öffnete die Augen.
»Heute Nacht fliehen wir«, flüsterte Ana.
»Wer ist Jonan?«, fragte Merie. Ana hatte ihr befohlen, bis zum Einbruch der Dunkelheit zu schlafen. Sie selbst hatte es ebenfalls versucht, war jedoch immer wieder mit klopfendem Herzen und verwehenden Traumbildern aufgewacht.
»Er ist … war mein Leibwächter«, sagte Ana. Sie zündete eine Kerze an. Es war dunkel geworden, und die Geräusche des Lagers verstummten nach und nach. »Er wachte nachts vor meiner Tür und rettete mich, als die Nachtschatten kamen. Wir wurden auf
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