Der verzauberte Turm
Kaneloon zurückzufliegen. Wartete er auf Anweisungen von seiner schlafenden Herrin? Oder weigerte er sich, Mondmatts Befehle auszuführen?
Elric wich durch den verdreckten und blutigen Schnee zurück, bis sich der Leichenhaufen in seinem Rücken befand. Er kämpfte weiter, doch ohne große Hoffnung.
Der Vogel flog ein gutes Stück rechts von ihm vorbei.
Elric sagte sich ironisch, daß er sich total darin verschätzt hatte, was der Flug des Vogels von den Schloßzinnen bedeuten mochte, und daß er durch seine falsche Entscheidung seinen Tod beschleunigt hatte - vielleicht auch den von Myshella und Mondmatt.
Kaneloon war verloren. Myshella war verloren. Lormyr und vielleicht alle Jungen Königreiche waren verloren.
Und er war verloren.
In diesem Augenblick glitt ein Schatten über die Kämpfenden, und die Kelmain schrien auf und wichen zurück, als ein gewaltiger Lärm die Luft zerriß.
Elric blickte erleichtert auf, als er den metallischen Flügelschlag des Vogels hörte. Er hielt nach Mondmatt im Sattel Ausschau und sah statt dessen das angespannte Gesicht von Myshella, deren Haar, von den schlagenden Flügeln aufgewühlt, um ihr Gesicht flatterte.
»Schnell, Lord Elric, ehe sie wieder angreifen!«
Elric steckte das Runenschwert ein und sprang in den Sattel, schwang sich hinter die Zauberin von Kaneloon. Dann stiegen sie in die Luft empor, während Pfeile ihre Köpfe umschwirrten und klirrend von den Metallfedern des Vogels abprallten.
»Noch ein Kreis um die Armee, dann kehren wir ins Schloß zurück«, sagte sie. »Dein Zauber und der Nanorion haben Theleb K'aarnas Zauber besiegt, aber sie brauchten länger, als uns lieb sein konnte. Siehst du, schon gibt Prinz Umbda seinen Männern Befehl, aufzusteigen und zum Schloß Kaneloon zu reiten. Und Kaneloon wird im Augenblick nur von Mondmatt verteidigt.«
»Warum die Umfliegung von Umbdas Armee?«
»Das wirst du sehen. Wenigstens hoffe ich, daß du es sehen wirst, mein Lord.«
Sie stimmte ein Lied an - eine seltsame, beunruhigende Melodie in einer Sprache, die der melniboneischen Hochsprache nicht unähnlich war, doch wiederum so anders, daß Elric nur wenige Worte verstand, wurden sie doch in einem seltsamen Akzent gesprochen.
Rings um das Lager flogen sie. Elric sah, wie die Kelmain sich in Kampfformation aufstellten. Sicher waren sich Umbda und Theleb K'aarna nun über ihren Angriffsplan einig geworden.
Dann flog der große Vogel zum Schloß zurück, landete auf den Zinnen und ließ Elric und Myshella absteigen. Mondmatt eilte den beiden mit gespanntem Gesicht entgegen.
Sie gingen zur Mauerkrone, um sich die Kelmain anzusehen.
Und sahen, daß sich die Horden in Bewegung gesetzt hatten.
»Was hast du getan, um...«, begann Elric, doch Myshella hob die Hand.
»Vielleicht nichts. Vielleicht wirkt der Zauber nicht.«
»Was hast du.?«
» Ich habe den Inhalt des Beutels verstreut, den du mitgebracht hattest. Ich habe ihn um die ganze Armee ausgestreut. Paß auf...«
»Und wenn der Zauber nicht gewirkt hat.«, murmelte Mondmatt, hielt inne und versuchte in dem schwachen Licht etwas zu erkennen. »Was ist das?«
Myshellas zufriedene Stimme klang beinahe gespenstisch: »Die Fleischschlinge.«
Etwas wuchs aus dem Schnee empor. Etwas Rosarotes, das zu beben begann. Riesig, eine gewaltige Masse, die die Kelmain von allen Seiten einschloß und ihre Pferde schnaubend auf die Hinterhand steigen ließ.
Und die Kelmain zum Schreien brachte.
Das Zeug war wie Fleisch, und es war so hoch gewachsen, daß die ganze Kelmain-Horde nicht mehr zu sehen war. Lärm brandete auf, als die Krieger ihre Kampfmaschinen gegen die elastische Masse zu richten und sich einen Weg ins Freie zu schießen versuchten. Es gab Geschrei. Doch kein einziger Reiter entkam der Schlinge des Fleisches.
Dann begann sich die Substanz über die Kelmain zu falten, und Elric hörte einen Laut, wie er ihn noch nie vernommen hatte.
Es war eine Stimme.
Die Stimme von hunderttausend Männern, die sich dem gleichen Schrecknis gegenübersahen, die alle den gleichen Tod starben.
Es war ein Aufstöhnen der Verzweiflung, der Hoffnungslosigkeit, der Angst.
Und dieses Stöhnen war so laut, daß die Mauern von Schloß Kaneloon erbebten.
»Das ist kein Tod für einen Krieger«, murmelte Mondmatt und wandte sich ab.
»Aber es war die einzige Waffe, die wir hatten«, sagte Myshella. »Ich besitze sie seit etlichen Jahren, doch bisher habe ich keine Notwendigkeit gesehen, sie einzusetzen.«
»Von all
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