Der verzauberte Turm
wäre so ein Moment?«
»Möglich.«
Zweites Kapitel
Rückkehr einer Zauberin
Der Sand legte sich unter der Berührung des Windes in Falten, so daß die Dünen wie Wogen in einem beinahe versteinerten Meer aussahen. Haifischzähne aus Gestein ragten da und dort empor - die Überreste von Bergketten, die vom Wind getragen worden waren. Und ein klagendes Seufzen war schwach zu hören, als erinnere sich der Sand noch an seine frühere Existenz als Stein und Knochen von Mensch und Tier und sehne sich nach seiner Wiederauferstehung - ein Seufzen bei der Erinnerung an seinen Tod.
Elric zog sich die Kapuze seines Mantels über den Kopf, um sich vor der brennenden Sonne zu schützen, die am stahlblauen Himmel hing.
Eines Tages, sagte er sich, werde auch ich diesen Frieden des Todes kennenlernen, und vielleicht werde ich ihn dann ebenfalls bedauern. Er ließ die goldene Stute im Schritt gehen und trank aus einem seiner Schläuche einen Schluck Wasser.
Die Wüste umgab ihn nun auf allen Seiten und schien endlos zu sein. Nichts wuchs. Keine Tiere lebten hier. Am Himmel waren keine Vögel zu sehen.
Aus irgendeinem Grund erschauderte er und hatte die Vision von einem Augenblick in der Zukunft, da er so allein sein würde wie jetzt, in einer Welt, die noch öder war als diese Wüste, ohne Pferd als Gefährten. Er schlug sich den Gedanken aus dem Kopf, der ihn aber dermaßen mitgenommen hatte, daß für eine Weile sein Wunsch in Erfüllung ging und er nicht weiter über sein Schicksal und seine Situation nachdachte. Der Wind ließ etwas nach, und das Seufzen war nur noch ein Flüstern.
Betäubt betastete Elric den Knauf seiner Klinge - Sturmbringer, das Schwarze Schwert -, denn er brachte seine Vorahnung mit der Waffe in Verbindung, ohne zu wissen, warum. Und es wollte ihm scheinen, als läge im Murmeln des Windes ein ironischer Klang. Oder ging dieser Laut von dem Schwert aus? Er neigte lauschend den Kopf, doch der Ton wurde immer leiser, als habe er gemerkt, daß Elric zuhöre.
Die goldene Stute begann die leichte Schräge einer Düne zu erklimmen und stolperte dabei, als ihr Huf in tieferem Sand versank. Elric konzentrierte sich darauf, das Tier auf festeren Grund zu lenken. Als er den Kamm der Düne erreichte, zügelte er sein Pferd. Die Wüstendünen erstreckten sich in endlosen Wellenkämmen, nur da und dort von nacktem Gestein unterbrochen. Er spielte mit dem Gedanken, immer weiterzureiten, bis eine Rückkehr nach Tanelorn unmöglich war, bis er und sein Pferd vor Erschöpfung zusammenbrachen und allmählich vom Sand verschluckt wurden. Er schob die Kapuze zurück und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Warum nicht? dachte er. Das Leben war unerträglich geworden. Er wollte es mit dem Tod versuchen.
Würde der Tod ihn aber zurückweisen? War er zum Leben verurteilt? Manchmal kam es ihm so vor.
Dann dachte er an das Pferd. Es war nicht fair, das Tier seinen Wünschen zu opfern. Langsam stieg er ab.
Der Wind wurde kräftiger, und sein Seufzen nahm zu. Sand umspielte Elrics gestiefelte Füße. Es war ein heißer Wind, der an seinem großen weißen Mantel zupfte. Das Pferd schnaubte nervös.
Elric blickte nach Nordosten, zum Rand der Welt. Und schritt aus.
Das Pferd wieherte ihn fragend an, als er es nicht rief, doch er ignorierte das Geräusch und hatte das Tier bald zurückgelassen. Er machte sich nicht einmal die Mühe, Wasser mitzunehmen. Er warf die Kapuze zurück, so daß ihm die Sonne auf den ungeschützten Kopf brannte. Sein Tempo war gleichmäßig und zielstrebig - er marschierte, als führte er eine Armee in den Kampf.
Vielleicht spürte er tatsächlich eine Armee hinter sich - die Armee der Toten, die Armee all jener Freunde und Feinde, die er im Laufe seiner sinnlosen Suche nach einem Sinn für seine Existenz getötet hatte.
Ein Feind blieb noch am Leben. Ein Feind, der noch stärker, noch bösartiger war als Theleb K'aarna - der Feind seines düsteren Ich, jene Seite seiner Natur, die durch die intelligente Klinge an seiner Hüfte symbolisiert war. Und wenn er starb, würde dieser Feind ebenfalls sterben. Eine Streitmacht für das Böse würde von der Welt verschwinden.
Mehrere Stunden lang marschierte Elric von Melnibone durch die Seufzende Wüste, und allmählich wich, wie erhofft, das Gefühl der Identität von ihm, so daß er fast eins zu werden glaubte mit dem Wind und dem Sand, so daß er endlich mit der Welt vereint wurde, die ihn zurückgewiesen und die er seinerseits abgelehnt
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