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Der Veteran: Roman

Titel: Der Veteran: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gavin Smith , Bernhard Kempen
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eine weitere hochwertige Sicherheitsfunktion. Das Einzige, was
sich änderte, war eine gelegentliche transparente Schriftrolle, die vor ihnen erschien und über die unlesbare Zeichen liefen, sobald neue Informationen eintrafen.
    Ich beobachtete das Geschehen ein paar Minuten lang, zumindest laut der internen Uhr meines Avatars. Dann verließen sie nacheinander die Kammer. Einige verschwanden einfach, andere verblassten langsam, ein paar explodierten in einem Farbregen, eine wurde in Schatten gehüllt, und zwei benutzten tatsächlich eine der Türen der Kammer. Schließlich war nur noch eine Gestalt in einer schmutzig weißen Robe übrig. Sie drehte sich zu mir herum und gab mir mit einem Wink zu verstehen, dass ich herunterkommen sollte.
    Der Avatar des Heiden überraschte mich nicht. Es war ein etwa gleichaltriger Mann, dessen Haar zu einer Tonsur geschnitten war. Er trug ein schäbiges, authentisch wirkendes Gewand sowie verschiedene Werkzeuge und Fetischobjekte, so dass er aussah, als wäre er gerade einer historischen Dokumentation entstiegen. Natürlich hatte er einen langen Bart und einen Stab. Ich stand mit ihm in der runden Kammer, die nun bis auf uns beide völlig leer war, und blickte auf die gefangene Informationsgestalt.
    »Das ist es, nicht wahr?«, sagte ich.
    Der Heide lächelte und nickte. Mir fiel auf, dass der Gesang aufgehört hatte.
    »Was hatte der Gesang zu bedeuten?«, fragte ich.
    »Die Manifestation unserer Anti-Überwachungssoftware.«
    »Also wolltet ihr, dass ich sehe, aber nicht höre.«
    »Du warst nicht unsere Hauptsorge, und was du gesehen hast, war dazu gedacht, Vertrauen zu stiften«, sagte er.
    »Wo ist das hier?«, fragte ich und blickte mich um. Als ich in der Kammer war, konnte ich sehen, dass die Wände aus zahlreichen Regalen bestanden, in denen Schriftrollen lagen. Es musste eine Art großer Informationsbibliothek sein.

    »Das ist mein Allerheiligstes, Dinas Emrys«, sagte der Heide. Ich bemerkte eine Spur von Stolz in seiner Stimme. Trotz meiner IT-Abneigung war ich beeindruckt. Ein virtueller Ort, der so sicher wie ein Allerheiligstes war, musste hervorragend programmiert worden sein, mit viel mehr Zeit, als die meisten Hacker investierten, die auf sofortige Befriedigung aus waren.
    »Was seid ihr für Leute?«, fragte ich.
    Darüber dachte der Heide eine Weile nach. Er machte den Eindruck, als würde er nach einem Ansatz suchen, mit dem sich etwas sehr Kompliziertes verständlich machen ließ. Es war der leicht gönnerhafte Blick, den ich schon oft bei Hackern und SigTechs gesehen hatte, wenn sie den Uneingeweihten etwas erklären mussten.
    »Glaubst du an einen Gott oder an Götter?«, fragte der Heide.
    Beinahe hatte ich mich umgedreht und wäre gegangen. Obwohl das in einer kontrollierten virtuellen Umgebung möglicherweise nichts genützt hätte. Solche Sätze hatte ich schon des Öfteren von Hackern gehört.
    »Ich bin mir sicher, dass deine Religion sehr nett ist, aber ich bin kein Hacker, und meine religiösen Gene wurden bislang noch nicht angeregt«, sagte ich und hoffte, dass mein Avatar es schaffte, meine Verärgerung zum Ausdruck zu bringen.
    Der Avatar des Heiden seufzte. Es war ein sehr guter Avatar. »Jakob, es ist mir völlig egal, woran du glaubst oder ob du überhaupt an irgendetwas glaubst, und ich bin auf keinen Fall daran interessiert, dich zu meinem sehr privaten Glauben zu konvertieren«, erklärte er geduldig. »Ich möchte nur wissen, ob du an irgendetwas glaubst.«
    Ich dachte nach. »Höchstens an meine Eigenverantwortung«, sagte ich schließlich. »Wenn es einen Gott gibt, musst du zugeben, dass er sich offenbar einen Scheißdreck für den Rest der Welt interessiert.«
    »Was sehen wir also im Netz?«, fragte er.

    »Halluzinationen. Die hyperaktive Fantasie eines Gehirns, das zu viele Informationen auf einmal verarbeiten muss.«
    »Vielleicht hast du recht, aber spielt das eine Rolle?«
    »Ob Gott oder eure Götter real sind? Ich hätte gedacht, das wäre ein ganz entscheidender Punkt eures Glaubensbekenntnisses«, sagte ich.
    »Nein, der Glaube ist entscheidend für unseren Glauben. Es spielt keine Rolle, ob es Götter und Geister sind, die irgendwie im Netz zum Leben erwachen. Es spielt keine Rolle, ob sie Informationsgestalten sind, die ein Pseudo-Bewusstsein entwickelt und die Form unserer kulturellen Ikonen angenommen haben. Oder ob es Aliens sind oder, wie du sagst, nur Halluzinationen, die unsere uralten religiösen Gene anregen. Es

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