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Der Veteran: Roman

Titel: Der Veteran: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gavin Smith , Bernhard Kempen
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geht ausschließlich darum, wie wir darauf reagieren, was wir damit anfangen wollen. Ich persönlich sehe sie als Manifestationen wertvoller Ideen, die wir respektieren und mit denen wir arbeiten sollten, zum Beispiel Kommunikation und Kreativität oder unsere wunderschöne, aber gepeinigte Erde.«
    »Das scheint meinen Standpunkt zu beweisen, dass sie nicht real sind«, sagte ich. Bevor der Heide etwas darauf erwidern konnte, fuhr ich fort. »Und frag mich jetzt nicht, was real ist«, warnte ich ihn. Wenn man mit SigTechs zusammenarbeitete, gab es oft das große Problem, dass man immer wieder religiöse Debatten mit ihnen führen musste, wenn es sonst nichts zu tun gab.
    »Das wollte ich gar nicht sagen. Die Visionen, die wir im Netz sehen, kommen uns sehr real vor. Wir müssen uns mit ihrer Realität auseinandersetzen. In gewisser Weise spielt ihr Ursprung subjektiv gar keine Rolle.«
    »Aber es ist euer Geist, der euch etwas vorgaukelt«, sagte ich.
    Darüber dachte der Heide nach. »Mache ich auf dich den Eindruck eines ausgesprochen dummen Menschen?«, fragte er, worauf ich meinen Avatar veranlasste, den Kopf zu schütteln.
»Und ich kenne die verschiedenen Erklärungen für derartige Visionen. Trotzdem bin ich in Ermangelung eines besseren Begriffs religiös. Obwohl ich lieber von einer spirituellen Neigung sprechen würde.«
    »Aber welchen Sinn soll das haben?«, fragte ich.
    »Um zu helfen«, antwortete er.
    »Wem?«
    »In erster Linie mir selbst. Es hat mir geholfen, in vielen Dingen den Sinn zu erkennen.«
    »Dinge haben keinen Sinn«, sagte ich.
    »Nein, vermutlich nicht, aber ein Werkzeug, das einem hilft, etwas zu verstehen, ist etwas Sinnvolles. Oder eher ein Werkzeug, das einem hilft, Dinge aus einer bestimmten Perspektive zu sehen, damit man sie verarbeiten und mit ihnen umgehen kann.«
    »Und welche kulturelle Ikone verehrt ihr?«, fragte ich, während ich überlegte, wie ich möglichst schnell aus diesem Gespräch aussteigen konnte. Grob zu werden kam mir immer mehr als die bessere Lösung vor.
    »Ich neige zu einer modernen Interpretation des nordeuropäischen Heidentums der Art, wie es von den Kelten praktiziert wurde.«
    Davon hatte ich schon gehört, aber ich konnte nicht allzu viel damit anfangen.
    »Ich stehe in Beziehung zu Oghma; von einer Verehrung würde ich nicht sprechen«, fuhr er fort. »Ich sehe ihn als Totemfigur, als ikonografische Inspiration.«
    Ich zuckte mit den Schultern. Das alles sagte mir nichts. »Und du glaubst daran, dass sich dieser Oghma putzmunter im Netz herumtreibt?«
    »Oghma brachte die Schrift nach Britannien. Ich glaube daran, dass er immer noch da ist, dass er immer noch Menschen zur Kreativität inspiriert, dass er immer noch schreibt, auch wenn er jetzt einen Code benutzt.«

    »In deinem Kopf.«
    »Die Frage seiner objektiven Existenz ist für mich irrelevant«, sagte er.
    Dann erinnerte ich mich an etwas, das der Vikar mir gegenüber erwähnt hatte. »Der Vikar hat gesagt, dass er nicht an Gott glaubt.«
    »Du hast es selbst auf den Punkt gebracht: Unsere Götter sind kulturelle Ikonen«, sagte der Heide.
    »Und?«
    »Das heißt, wir erschaffen sie.«
    »Und was hat das damit zu tun?« Ich zeigte auf Botschafter.
    »Die ultimative Hybris. Wir wollen einen Gott machen, aber so, dass eindeutig klar wird: Er ist nicht in unserem Kopf, sondern für jeden erkennbar.«
    Ich drehte mich um und betrachtete Botschafter in seinem Eindämmungsprogramm.
    »Werdet ihr dieses Wesen verehren?«, fragte ich erstaunt. Plötzlich kam mir mein Verrat gar nicht mehr so schlimm vor.
    »Nein, wir wollen ihn nur zu Gott machen. Beziehungsweise ihn benutzen, uns zu helfen, Gott zu erschaffen. Das Netz anregen, etwas, das fast durch organische Evolution entstanden ist, zu wahrem Bewusstsein zu erwecken. Eine Lebensform, die aus Informationen besteht und nahezu allwissend ist.«
    »Und das war der Plan des Vikars?«
    Der Heide nickte.
    »Verdammte Zeitverschwendung«, sagte ich. Der religiöse Wahn dieser Gruppe hatte offensichtlich bedenkliche Formen angenommen. Morag und ich würden wegen einer verrückten Idee sterben. Ich blickte mich um und versuchte zu entscheiden, wie ich am besten hier rauskam, bis meine dürftigen IT-Kenntnisse mich daran erinnerten, die Escape-Funktion zu aktivieren.
    »Bitte warte«, sagte der Heide. »Hör mich zu Ende an.«

    Ich zögerte. Aber eigentlich hatte ich gerade nichts Besseres zu tun, solange Rolleston mich noch nicht eingeholt hatte.
    »Was

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