Der Veteran: Roman
Schritt zurück und hätte geseufzt, wenn mein Avatar dazu imstande gewesen wäre. Wovor hatte ich Angst?
»Es ist einfach zu groß!« Ich glaube, in diesem Moment fing ich an, daran zu glauben, dass es vielleicht eine Möglichkeit war. Vielleicht wollte ich auch nur daran glauben. Aber gleichzeitig wusste ich, dass ich der Enttäuschung widerstehen musste, die auf die Hoffnung folgte.
»An irgendeinem Punkt muss jemand es tun.« Der Heide lehnte sich zurück. Der Sturm hörte auf, und er schien wieder zu seiner Gutmütigkeit zurückzufinden.
»Warum wir?«, fragte ich, bevor mir klar wurde, dass ich mich selbst eingeschlossen hatte.
»Niemand sonst scheint dazu bereit zu sein, und wenn wir es nicht tun, wird nichts geschehen.«
»Ich bin kein Hacker.«
»Leider sind Männer, die zur Gewalt fähig sind, stets von großem Nutzen, Jakob.«
»Wir können hier nicht bleiben, das weißt du. Dann würden wir alles aufs Spiel setzen, was ihr hier aufgebaut habt.«
»Vielleicht, aber alles wird sich ändern, und du hast nichts zu verlieren.«
Da war was dran. Ich hatte wirklich nichts Besseres zu tun.
»Was hat das alles mit dem Alien zu tun?«, fragte eine gruselige raue Stimme. Sie klang, als würde jemand versuchen, zu sprechen und gleichzeitig Glas zu kauen. Meine Reaktion war peinlich. Der knallharte Veteran der Spezialeinheiten zuckte erschrocken zusammen. Damit blamierte ich wahrscheinlich dreihundertfünfzig Jahre Regimentsgeschichte. Was es noch schlimmer machte, war der Umstand, dass der Avatar so primitiv war, um sogar für eine Verzögerung zwischen meiner mentalen Reaktion und der des Avatars zu sorgen.
Der Heide blickte an mir vorbei und lächelte. Ich drehte mich um und warf einen Blick auf denjenigen, der diese schrecklichen Geräusche von sich gab. Der Avatar sah genauso furchtbar aus, wie er klang. Er war gerade noch als menschlich zu identifizieren, hatte einen gebeugten Rücken, ein langes Gesicht mit einer langen, spitzen Zunge und einen Mund mit schiefen und ungleichmäßigen, bösartig aussehenden Zähnen. Ein paar Elemente stammten vom typischen Hexen-Avatar, wie er im Netz zu Halloween sehr beliebt war, zumindest bei den Leuten, die es sich leisten konnten. Doch die leichenartige blassblaue Haut, die drahtige Muskulatur und die scheußlichen Krallen verliehen dieser Gestalt etwas Urtümlicheres und Unheimlicheres. Sie trug nur ein simples Kleidungsstück, eine Art zerlumptes schwarzes Sackkleid, das mit einem Strick um die Hüfte zusammengebunden war.
»Hast du entschieden, wie du angesprochen werden möchtest?«, fragte der Heide.
»Ich bin die Schwarze Annis«, sagte die Hexe.
»Ich kann mir vorstellen, dass Jakob mit den religiösen Konnotationen Probleme haben wird.«
»Das ist religiös!«, stieß ich hervor und zeigte auf die groteske Gestalt vor mir. »Welcher Religion hängst du an?« Aber niemand ging auf meine Frage ein.
»Nein«, sagte die hexenartige Gestalt. »Für mich ist es ein Märchen. Es ist das, was beinahe aus mir geworden wäre. Es hätte auch andersherum kommen können.«
In diesem Moment wurde mir alles klar. »Morag?«, fragte ich.
Die Hexe nickte. Wenn sie sich hätte hässlich machen müssen, um zum Hacker zu werden, wäre ihr Avatar schön gewesen. Für sie war dies eine Abzahlung ihrer karmischen Schuld.
»Also doch nicht das Blumenmädchen?«, sagte der Heide und klang gleichzeitig amüsiert und zufrieden.
Annis schüttelte den Kopf, beinahe schüchtern, wie ich fand.
»Ob es nun religiös ist oder nicht, in mir weckt es eine tiefe Resonanz. Meinen Glückwunsch. Das ist ein sehr hochentwickelter Avatar«, sagte er.
Annis schien vor Stolz zu platzen. »Die Hardware war eine große Hilfe«, ertönte wieder die schreckliche Stimme. Die Hexe blickte sich in der Kammer um, das Gesicht zu einer grotesken Miene des Erstaunens verzogen.
»Das erste Mal?«, fragte der Heide.
»Ja, das erste Mal eingeklinkt und mit allen Sinnesempfindungen«, bestätigte Morag.
»Das ging schnell«, sagte ich, gleichzeitig beeindruckt und misstrauisch wegen Morags Anwesenheit im Netz.
»Offensichtlich ist ein gewisses natürliches Talent vorhanden«, sagte der Heide.
Nach dem Eintreffen von Morag spürte ich eine gewisse Erschöpfung. Mir wurde klar, dass der Heide mich in seinen verrückten Plan hineingezogen hatte, doch nun war der Bann gebrochen.
»Was ist mit dem Alien?«, wiederholte ich die Frage von Morag der Hexe. »Du hast gesagt, es wäre der
Weitere Kostenlose Bücher