Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
der auch nur annähernd Martas Position einnehmen könnte. Seine Vermieterin sagte aus, dass er so gut wie nie Besuch hatte, schon gar nicht in letzter Zeit. Der Wahn spielt mit ihm quasi Pingpong.«
»Aber Marta Tobisch ist tot«, wandte Effie ein. »Also gibt es den aktiven induzierenden Partner nicht mehr.«
»Besonders passiv kommt mir Land nicht vor«, sagte Heide. »Außerdem haben wir noch drei ungeklärte Tötungsdelikte, die Barbarossa-Musiker. Darüber haben wir noch gar nicht geredet.«
»Später, Heide«, gab Raupach zurück und setzte sich auf die Schreibtischkante. »Zuerst müssen wir uns überlegen, wie wir mit Johan Land Kontakt aufnehmen.«
13. Dezember
Als Raupach zur Pressekonferenz ging, schneite es wieder. Es war fast windstill, die Flocken fielen immer dichter. Sie bildeten eine kompakte Masse über dem Rhein, undurchdringlich für die Augen der Menschen. Sanft stiegen sie hinab sich zu verliern im Strom, der kommt und geht. Langsam wurde er selbst zum Dichter.
Er trug die aktuelle Samstagsausgabe des Stadt-Anzeigers unter dem Arm. Die Zeitung enthielt einen Auszug aus der Glocke, ohne Kommentar. Er hatte bewusst darauf verzichtet.
Der Meister kann die Form zerbrechen
Mit weiser Hand, zur rechten Zeit,
Doch wehe, wenn in Flammenbächen
Das glühnde Erz sich selbst befreit!
Raupach hoffte, dass Land diese Nachricht las. Sie hatten lange diskutiert, welche Stelle sie nehmen sollten. Der Einfall stammte von Jakub. Die Schiller-Zitate stellten eine Art Code dar, mit dessen Hilfe Johan Land kommunizierte, die Sprache, die er verstand. Vielleicht konnten sie dadurch zu ihm vordringen, ohne ihn zu provozieren. Es ging darum, ihn zum Nachdenken zu bewegen, ihm Zweifel einzupflanzen. Dabei liefen sie Gefahr, dass Land diesen Annäherungsversuch als anmaßend empfand. Da ihnen jedoch nichts anderes übrig blieb, mussten sie das Risiko eingehen. Irgendeine Reaktion war zu diesem Zeitpunkt besser als gar keine.
Dies alles legte Raupach gemeinsam mit Woytas in knappen Worten dar. Im Vergleich mit der Pressekonferenz acht Tage zuvor waren ungefähr dreimal so viele Journalisten anwesend. Es sollte keine Demonstration werden, wie Himmerich sie veranstaltet hatte, sondern so etwas wie ein Offenbarungseid. Raupachs Strategie.
Mit Lübben, Materlink und Tiedke hatten sie drei Todesopfer. Und sie hatten drei große Brände: in der Diskothek, in dem Kino und in der Linie 5, den Spielplatz nicht eingerechnet. Neben den Tatortanalysen konnte Raupach zumindest die Bilder der beiden Hauptverdächtigen präsentieren, Aalund und Land. Er legte nahe, dass die Delikte nicht miteinander zusammenhingen.
Das wollte niemand hören, dafür war die Story zu groß und die Gemeinsamkeiten mit Lands Ankündigungen zu offensichtlich. Da Raupach sich als Leiter einer Sonderkommission vorstellte, die mit dem Ersten KHK eng zusammenarbeitete, konzentrierten sich die Journalisten auf ihn. Er versuchte, unter den Blitzlichtern hindurchzuschauen.
»Ist das alles?«, fragte eine Zeitungsreporterin. »Sie versuchen, den Feuerteufel mit einem Gedicht zu locken?«
Raupach fand den Ausdruck, mit dem die Boulevardpresse den Brandstifter belegt hatte, lächerlich. Denen fiel auch nichts Neues ein. Aber »Feuerteufel« war immerhin besser als »Glöckner von Köln«. Da die Medien zynisch waren, neigte auch Raupach in ihrer Anwesenheit zum Zynismus. Das wurde von der Rolle erwartet, die er in dieser Inszenierung zu spielen hatte.
Er wies auf die Sicherheitsteams hin, die in den U-Bahnen und auf den Bahnsteigen patrouillierten. Woytas hatte die älteren Wagen mit Videoüberwachung nachrüsten lassen. Aber im Gegensatz zu einer Black Box in Flugzeugen würden diese Kameras bei einem großen Brand wenig nutzen, das hatte das Feuer in der Linie 5 gezeigt. Die Aufzeichnungen waren verschmort. Raupach dachte an Marta Tobischs Aufnahmen, die überdauert hatten. Die Maßnahme hatte etwas Groteskes.
Die Journalisten wollten möglichst viel über Johan Land wissen, über seinen Hintergrund, den sie mit Hilfe zahlloser Interviews ohnehin in Erfahrung bringen würden – und über sein Motiv. Gunter Aalund erschien nicht minder interessant. Land figurierte als Durchschnittsbürger, der ausrastete, Aalund als Desperado, der persönliche Rechnungen beglich.
Raupach zog sich während der Pressekonferenz auf die stereotype Formulierung zurück, dass er mit Rücksicht auf die Ermittlungsarbeit keine weiteren Angaben machen könne. Außerdem
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