Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
nehmen?«, fragte Photini. Raupach hatte ihr den Gebrauch dieser und ähnlicher Floskeln nahe gelegt.
»Wenn Sie möchten.« Sie machte eine gleichgültige Geste und lehnte sich zurück. Photini setzte sich, Raupach blieb stehen.
»Ist Ihre Tochter zu Hause?« Er wies auf die geschlossene Tür mit dem »No admittance«-Schild. Eine andere, offene Tür führte ins Wohnzimmer.
Valeries Hände verkrampften sich unter dem Tisch. »An einem Samstagnachmittag? Nein, sie besucht eine Freundin.«
»Weit von hier?«, fragte Photini.
»Kuenstraße. Das sind nur drei Blocks.«
Raupach wunderte sich. Hatten seine Leute Sheila verpasst? Höttges hatte doch versichert, dass weder Mutter noch Tochter das Haus verlassen hatten. Solche Nachlässigkeiten waren unverzeihlich, vor allem bei der einzigen vagen Spur, die sie hatten. Und der Gefahr, die für diese Spur bestand.
»Was entnehmen Sie denn der Zeitung?«, fragte er.
»Die Leute haben Angst.«
»Und Sie? Wie geht es Ihnen dabei?«
Valerie überlegte. »Es lässt mich nicht kalt. Aber ich glaube kaum, dass ich etwas zu befürchten habe. Ich wüsste nicht, von wem.« Sie blickte an die Decke. »Und die Polizei kann Gunter Aalund immer noch nicht finden?«
»Entweder ist sein Versteck außergewöhnlich gut«, fing Photini an.
»Oder er ist tot«, vollendete Raupach. »Was von Tag zu Tag wahrscheinlicher wird.«
Photini wechselte das Thema. »Kennen Sie Johan Land?« Sie legte ein Passbild auf den Tisch. Es stammte aus Lands Wohnung.
»Das ist der andere Verdächtige, oder?«
»Der Brandstifter«, erklärte Photini.
Valerie beugte sich vor und betrachtete das Foto. Sie zwang sich, eine Weile darauf zu starren. »Nein. Denken Sie, dass er Chris und die anderen auf dem Gewissen hat?«
»Es gibt so vieles, was wir nicht verstehen.« Raupach schaute sich in der Küche um. Der Raum wirkte noch ordentlicher als letztes Mal. Aufgrund seiner eigenen Bemühungen in dieser Richtung hatte er ein Gespür für die feinen Unterschiede entwickelt. Ein Zimmer, das nur hin und wieder aufgeräumt wurde, sah anders aus als eines, in dem die Dinge ständig einen festen Platz besaßen – und ihn selten verließen.
»Dieser Mann«, er deutete auf das Foto, »hat in Ihrer direkten Nachbarschaft gelebt. Er konnte Ihnen quasi ins Wohnzimmer sehen.«
»Wirklich?«
»Kommen Sie, ich zeige es Ihnen.«
Raupach ließ Valerie ins Wohnzimmer vorangehen. Gestreifte Vorhänge verdunkelten den Raum. Durch eine halb geöffnete Tür sah er den Zipfel einer Steppdecke, offenbar befand sich dort das Schlafzimmer.
Die Frau zog die Vorhänge auf, dämmriges Winterlicht fiel herein. Die Rückseiten einiger Häuser von der Neusser und der Christinastraße waren zu sehen, Balkone, Dachterrassen, Hinterhöfe, Geräteschuppen.
»Seit wann wohnen Sie hier?«, fragte Raupach.
»Seit … fünf Jahren?«
»Halten Sie die Vorhänge immer geschlossen?«
»Nein«, entfuhr es Valerie. »Das hab ich mir erst vor kurzem angewöhnt.«
»Dort drüben.« Raupach wies auf das Fenster, hinter dem das Teleskop gestanden hatte. »Land beobachtete seine Nachbarn durch ein Fernrohr. Niemand weiß, wann er damit anfing. Er hatte einen perfekten Blick auf Ihre Wohnung.«
Valerie starrte auf den Balkon und schwieg.
Photini stellte sich neben sie. »Unheimlich.«
Die Frau nickte langsam.
»Was hat Johan Land hier gesehen?«, fragte Raupach.
»M-mich?«, sagte Valerie unsicher. »Sheila?«
»Das Badezimmer geht zur Straße raus. Das konnte er nicht einsehen, oder?«
Zögerlich schüttelte sie den Kopf.
»Selbst wenn er nur ein Voyeur sein sollte, wäre das ziemlich unangenehm. Für Sie, Ihre Tochter und all die anderen Leute, die er möglicherweise bespitzelt hat.«
Raupach ging an den beiden Fenstern des Zimmers vorbei. Er stellte sich ein Auge vor, das jeden seiner Schritte verfolgte, spürte die unsichtbare Linie zwischen den beiden Wohnungen. Dergestalt überwacht zu werden war alles andere als harmlos. Es verlieh dem Mann hinter dem Teleskop Überlegenheit und Macht. Und es degradierte Valerie Braq zu einem ahnungslosen Tier im Gehege.
»Ich frage mich, ob es hier mehr zu sehen gab als eine attraktive Frau und ihre junge Tochter.« Raupach klopfte gegen die Wand, hinter der Sheilas Zimmer lag. Dann näherte er sich dem Schlafzimmer. »Darf ich?«
»Bitte.« Valerie musste sich beherrschen, um stehen zu bleiben und ruhig weiterzuatmen.
Von außen sahen Raupachs Leute nur die heruntergezogenen Jalousien
Weitere Kostenlose Bücher