Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
war ihm nur verwehrt gewesen, sich selber zu sehen.
»Ich habe dich geliebt. Verlasse mich.« Eine Pause, als habe er noch eine letzte Bedingung zu berücksichtigen. »Was getan werden muss, werde ich tun.«
Johan erhob sich und schmiss die Tür der Kammer ins Schloss. Der Rahmen erbebte.
Seine Schultern schienen fast den Boden zu berühren. Er hatte ein Ende gemacht. Langsam spürte er, wie ihn etwas verließ. Etwas Stummes, Schmerzvolles, das in ihm gepocht hatte, kam zum Stillstand. Sein Arm erglühte und sandte ein Brennen durch seinen Körper. Dann war es vorbei.
Doch an seiner Aufgabe, das wusste er, war nicht zu rütteln. Jetzt nicht mehr.
Aus dem oberen Stockwerk waren Stimmen zu hören, die sich Ruhe ausbaten. Dann war es plötzlich ruhig.
»Die Nachbarn schöpfen Verdacht«, sagte Valerie.
Sie hatten keine Zeit zu verlieren. Nach Mitternacht, als die Straßen leer waren und aufgrund der einsetzenden Regenschauer niemand mehr vor die Türe ging, flohen sie erneut. Um den Polizeistreifen zu entgehen, die in Nippes patrouillierten, quetschten sie sich in Hauseingänge und suchten hinter Müllcontainern Schutz. Sie begegneten wenigen Passanten, niemand beachtete sie. Zum Glück war es nicht weit in die Sechzigstraße, wo Jasmina, die Sprechstundenhilfe, und Theo, ihr Chef, ein Liebesnest besaßen. Laut Johans letzten Erkenntnissen hatte Theo wieder eine Phase ehelicher Treue, die Beziehung lag auf Eis. Es war ein unsicheres und schäbiges Versteck, der Schlüssel lag auf dem Türrahmen. Zum Essen gab es Kekse und Süßigkeiten. Sie mussten leise sein wie zuvor, durften nur ganz sachte auftreten, konnten die Toilettenspülung nur vorsichtig betätigen, wenn überhaupt. Sie hatten keine Wahl.
Johans einziges Gepäckstück war ein schwerer Aktenkoffer. Man konnte ihn an der oberen Seite mitsamt dem Griff aufklappen. Er enthielt zehn Milchtüten mit Schraubverschluss. Darin befand sich keine Milch, sondern alles, was bei Mattes und Thierry an brennbaren Substanzen aufzutreiben gewesen war. Brennspiritus, Lampenöl, zerkleinerte Grillanzünder, Terpentin, Farbverdünner und mehrere Flaschen edlen Whiskys mit etwa 60 Prozent Fassstärke, wie es auf dem Etikett hieß. In jedem Tütenverschluss steckte ein Wattebausch, den Johan nur noch mit ein paar Spritzern Feuerzeugbenzin tränken musste. Der Koffer war der Beweis von Johans Treue. Kein Abschied konnte sie erschüttern.
19. Dezember
Effie Bongartz warf einen kurzen Blick auf die Wohnung. »Sie waren hier.«
Nach einem Vergleich der ersten Fingerabdrücke war sie sich sicher. Johan Land und Valerie Braq hatten bei zwei verreisten Webdesignern in der Neusser Straße Zuflucht gesucht. Land hatte die beiden anscheinend lange Zeit observiert. Ihre Wohnung gehörte zu den dunklen Fenstern. Leider hatten die Leute, die über ihnen wohnten, erst am Morgen die Polizei verständigt, obwohl sie schon am Vorabend Verdacht geschöpft hatten.
Wieder zu spät. Wieder eine Niederlage. Raupach beschloss, die Netze sofort weiter zu ziehen. Er rief Caberidis an und legte seine Absichten dar.
»Wir können nicht über ein ganzes Stadtviertel den Ausnahmezustand verhängen, Herr Kommissar. Die Morde kann man mit viel gutem Willen den internen Konflikten einer radikalen Musikgruppe zuschreiben. Oder sie gehen auf persönliche Rachemotive zurück. Daneben haben wir die Briefe eines Irren und Brände, wie sie andauernd vorkommen. Wir sind in Köln, da schlagen die Wellen gern hoch. Sie stammen aus der Provinz, nicht wahr?«
»Und das Feuer in der Linie 5?« Raupach ignorierte die Anspielung auf seine Herkunft.
»Hatte nicht die Allgemeinheit zum Ziel«, sagte Caberidis. »Was wollen Sie überhaupt? Ich dachte, Sie sind sicher, dass Land am 23. Dezember um 18 Uhr 33 zuschlagen wird, am Rudolfplatz. Das verschafft Ihnen einen entscheidenden Vorteil. Lassen Sie Land nur kommen, dann sind wir dieses Problem los.«
»Uhrzeit und Ort sind nur eine Vermutung. Wir können uns nicht darauf verlassen.«
»Aber das Datum geht aus seinem ersten Drohbrief hervor. Davon wird er am allerwenigstens abweichen. Er hat es angekündigt, Leute wie Land halten an ihren Obsessionen fest, sonst würden sie sich lächerlich machen. Für uns heißt das: höchste Alarmbereitschaft am Dreiundzwanzigsten, wie gehabt.«
»Sie möchten es klein halten?«, fragte Raupach. Da Himmerich wohl zu viel Skrupel besaß, schien er Caberidis zum Abwiegeln vorgeschickt zu haben.
»Das habe ich nicht
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