Der vierte Mörder: Klemens Raupachs erster Fall (German Edition)
oder war es Hecht? Jedenfalls hatte sie sich selbst übertroffen, trotz des starken Andrangs.
»Wer arbeitet, muss essen«, sagte sie und lud dem Chef ihrer Cousine ein Exemplar auf, das Homer zu einer weiteren Seemonstersage inspiriert hätte. Sie war vermutlich die Einzige der Anwesenden, die an eine Lösung des Falles glaubte.
Photini verkündete, dass sie nicht länger gedächte, im Polizeipräsidium zu bleiben. Raupach hatte seine Entscheidung ja schon stillschweigend getroffen. »Caberidis!«, stieß sie abfällig hervor. »Kaum schlägst du der Schlange den Kopf ab, wachsen zwei neue nach. In welchem Land leben wir eigentlich?«
Es widerte sie an, eine bevorstehende Katastrophe zu verwalten – und nichts anderes als eine Katastrophe kam auf sie zu. Ein leidlich rehabilitierter Kommissar, der langsam, aber sicher zum Sündenbock gemacht wurde – sie wies auf Raupach. Eine ungelittene Schreibtischermittlerin mit Liebeskummer – ein Blick zu Heide, die nicht widersprach. Und ein Erster KHK auf Abruf – damit begrüßte sie Woytas, der gerade eingetreten war und sich durch die eng stehenden Stuhlreihen kämpfte. »Damit ist wohl kein Staat zu machen.«
»Ich kann’s dir nicht verdenken, Fofó«, wandte Raupach ein. »Aber wenn wir nun einmal nicht mehr haben …«
»Dann machen wir’s auf die alte Tour«, erwiderte Photini. Sie wollte ihn wieder aus der U-Bahn herauskriegen. Potenzielle Tatorte abzuklappern war die reine Selbstzerfleischung. »Zieh all die Bullen aus Nippes ab, Klemens. Wir sprechen selber mit den Leuten. Mach es zu einem einfachen Fall!«
»Das kann ich nicht.« Raupach löste ein Stück Fisch von den Gräten und probierte es. Er schmeckte nach Anis.
»Was wollen Sie hier?«, fragte Heide müde.
Woytas blieb vor ihrem Tisch stehen. Ganz gegen seine Art trug er feste Winterkleidung und robuste Trekkingschuhe. Er wirkte wie jemand, der in die falsche Party geraten war. »Ich kam gerade vorbei und dachte mir, ich lese Sie auf.«
»Wofür?« Photini traute Woytas nicht, egal, was Raupach inzwischen von ihm hielt. Das zeigte sie dem Ersten KHK auch. »Auf welcher Seite stehen Sie eigentlich?«
»Wie?«
»Was versprechen Sie sich von dem Fall?«
»Nichts. Genau wie Sie, nehme ich an.« Woytas wurde es warm, er öffnete den Reißverschluss seiner Jacke. »Oder meinen Sie, bei dieser Sache lässt sich etwas gewinnen?«
»Sie können Ihren neuen Job verlieren.«
»Sie auch.«
»Die meisten von uns«, ergänzte Heide. Bei Licht betrachtet, war sie hier die Einzige, die nicht befördert worden war.
Woytas seufzte. »Bei jedem schwierigen Fall geraten sich die Ermittler an einem bestimmten Punkt in die Haare. Die äußere Gewalt richtet sich nach innen. Das ist ein irritierendes Phänomen. Als würde sich Lands zerstörerische Energie auf uns übertragen.«
Raupach aß seinen Fisch. Dieses See…tier war butterweich und behielt dennoch seine Form. Er hatte selten Gelegenheit zu einer exquisiten Mahlzeit und wollte sie nicht unterbrechen.
»Was tun Sie, wenn wir Land nicht kriegen?«, bohrte Photini.
»Das glaube ich nicht. Wir kriegen ihn.«
»Bisher haben Sie sich ziemlich rausgehalten.«
»Aus Gründen, die Ihnen bekannt sind. Ohne Ihren Chef stände ich nicht hier.« Woytas bat den Mann hinter der Bar um Leitungswasser. Rulas Cousin, der auch Photinis Cousin war, runzelte die Stirn, schenkte ihm aber ein Glas ein. Das Kölner Wasser enthielt genug Kalk, um eine Tropfsteinhöhle in Jahresfrist zuwuchern zu lassen. Raupach hütete sich, den Kopf zu heben. Das war Woytas’ Auftritt.
»Warum sind Sie so sicher?« Photini fand Gefallen an der Unterhaltung.
Das Leitungswasser kam. Woytas trank das Glas in einem Zug aus. »Weil ich denke, dass wir nicht besser aufgestellt sein könnten, um diesen komplexen Fall zu lösen. Lassen Sie sich nicht entmutigen. Rückschläge gehören dazu. Sie sind das Wesen unseres Berufs.«
Woytas fand die Worte, die Raupach nicht von den Lippen gingen. Sie waren etwas steif, aber gerade deshalb entfalteten sie ihre Wirkung. »Wir sind wie diese Sagengestalt, die einen großen Stein einen Hügel hinaufrollen muss«, fügte Woytas hinzu.
»Sisyphos«, ergänzte Rampach. »Aber es gelingt ihm nie. Der Stein rollt immer wieder hinunter.«
»Weil nach diesem Fall schon der nächste kommt. Das große Rätsel werden wir nie lösen können: Warum die Menschen Verbrechen begehen. Wir haben viele Erklärungen dafür, aber keine zufriedenstellende
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